Viele kennen das Sprichwort „Schach ist ein See, in dem eine Mücke baden und ein Elefant ertrinken kann.“ Der Wahrheitsgehalt kann in gleich drei parallel stattfindenden Schachausstellungen in Deutschland (Sachsen und Bayern) überprüft werden. Schach erleben, ohne selbst Schach zu spielen – geht in diesen drei Schachausstellungen tatsächlich. Sie verzaubern die nichtschachspielenden Kunstinteressierten und die Schachspieler gleichermaßen.
1) Schachausstellung in Oederan – „Acht Quadrat“ – 90 Jahre Schach in Oederan
In Oederan, unweit von Chemnitz, sind noch einmal einige wunderbare Kreationen von Schachkleidern des Studienganges „Modedesign“ der Fakultät Angewandte Kunst Schneeberg (Fachbereich der WHZ) zu bestaunen, die 2008 zur Schacholympiade Dresden gezeigt wurden. Schachspiele aus unterschiedlichen Zeiten und Kunstrichtungen erwarten die Besucher. Am Eingang laden lustige Holzschachfiguren auf einem Großfeldschach zu einer Schachpartie ein.
2) Schachausstellung in Hohenberg a. d. Eger – Schach & Porzellan. Die Welt auf 64 Feldern
In der Schach-Porzellan-Ausstellung in Hohenberg sind künstlerische Fantasien auf dem Schachbrett und neben dem Schachbrett in 8 Themenbereichen zu sehen. Es ist ein Fest der Farben und Formen. Es ist nicht zu übersehen, dass seinerzeit die Künstler selbst viel Spaß beim Erschaffen der Schachfiguren hatten, wie sonst kommt man auf die Idee, das Teeservice gegen das Kaffeeservice antreten zu lassen oder Fingerhüte in Schachfiguren zu verwandeln, …
Fingerhüte-Schachspiel, Porzellanmanufaktur Rudolf Kämmer, 1960
Schachspiel „Teeservice gegen Kaffeeservice“, Entwurf Jurij Garanin, 1980
3) Schachausstellung in Dresden – Schach! Fürstliche Spielwelten
Und in Dresden geht es wahrlich fürstlich zu. Im Neuen Grünen Gewölbe wird ein barockes Prunkschach von 1705 würdig präsentiert. Wenn man bedenkt, dass seinerzeit weder elektrisches Licht noch elektrische Hilfsmittel noch Maschinen gab, kann man die Großartigkeit und das virtuose Können der Künstler nie überschätzen. Eine besondere Augenweide ist der indische Hofstaat „Der Hofstaat zu Delhi am Geburtstag des Großmoguls Aureng-Zeb.“ oder die filigranen Kunstwerke in Kirschkernen und Nussschalen. Eine normale Eintrittskarte der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD) öffnet die Türen zu der Sonderausstellung und ebenso die Türen der anderen Gemächer des Residenzschlosses.
Die Entfernung zwischen Dresden und Hohenberg beträgt ca. 210 km und Dresden – Oederan ca. 60 km. Von Hohenberg a.d.Eger nach Oederan sind es ungefähr 170 km.
Jede Ausstellung ist sehr sehenswert. Alle zeigen, dass das Schachspiel die Menschen auf unterschiedliche Weise fasziniert, inspiriert und verbindet. Schach reicht weit über die Grenzen der 64 Felder hinaus!
Am Vergangenen Freitag, dem 15.03.2024, wurde die einzigartige Ausstellung „Schach & Porzellan. Die Welt auf 64 Feldern.“ mit viel Pomp eröffnet. Unter den zahlreichen Besuchern, es sollen ca. 200 gewesen sein, waren Gäste aus Politik wie Florian Luderschmid (Regierungspräsident der Regierung von Oberfranken), Wirtschaft wie Toralf Kirschneck (Sponsor) und Sport wie Ingrid Lauterbach (Präsidentin des Deutschen Schachbundes), die Mitglieder des Fördervereins des Museums sowie den Ehrengästen Dr. Thomas Thomsen, Reinhard Berg und Dr. Helmut Pfleger.
Die Eröffnungsveranstaltung war bis ins kleinste Detail hervorragend geplant. Die Formen und Farben des Schachspiels standen für die Innengestaltung, die Dekoration, der reichhaltige Imbiss und die leckeren Süßigkeiten Pate. Die honorigen Gäste richteten Gruß- und Dankesworte an die Besucher, Unterstützer und Leihgeber. Dr. Helmut Pfleger richtete in seiner launigen Ansprache einen Seitenhieb in Richtung bayrischer Landespolitik. Er wünscht sich, dass an bayrischen Schulen weiterhin den künstlerischen Fächern genug Raum gegeben wird, statt diese zu kürzen. Die anwesenden Gäste unterstützten diese Sichtweise mit lautem Beifall.
Die Museumsdirektorin Anna Dziwetzki schwärmte von ihrer Hauptkuratorin Petra Werner, die sich blendend in die für viele mystische Welt des Schachs einarbeitete. Sie versah den prächtigen Ausstellungskatalog mit gut recherchierten Inhalten. Ihre Führung durch die Ausstellung war kurzweilig und spannend, denn sie gefiel den Besuchern durch umfangreiches Wissen, dass nur so aus ihr heraussprudelt. Nicht umsonst pries Anna Dziwetzki ihre Kuratorin als wandelndes Museumslexikon an. Es lohnt sich, bei Besuch des Museums auch eine Führung dazu zu buchen. Da werden die Figuren förmlich lebendig.
„Toys“ Schachspiel mit Porzellanbrett, Entwurf Barbara Flügel, 2000
Die Hauptkuratorin Petra Werner staunte, wie viele Menschen weltweit Schach spielen. Sie ahnte noch nicht, in welche eine bunte und vielfältige Welt sie eintauchen wird, als sie begann, sich mit dem schwarz-weißen Spiel zu beschäftigen. So bekam die indische Schachweisheit „Das Schachspiel ist wie ein See, in dem eine Mücke baden und ein Elefant ertrinken kann.“ eine weitere Bedeutung. Um die unzähligen Ausstellungsstücke und die unterschiedlichen Welten zu ordnen, wurden sieben Themenwelten in der Ausstellung kreiert:
Fremde Völker und Kulturen
Mythologie, Moral und Fabelwesen
Formen und Ornamente
Tiere auf dem Schachbrett
Kurioses und Besonderes
Berühmt und Historisch
Erotik, Flirt und Zeitvertreib
Schachspiel „Seetiere“, Entwurf: Max Esser, 1923; Staatliche Porzellan-Manufaktur Meissen, Meißen; Höhe König 8,5 cm, Bauer 2,3 cm, Porzellanbrett 52 cm x 52 cm, Höhe 5 cm;
Foto: Jahreiss. foto film design, Hohenberg a. d. Eger
Detailansicht
Auch andere Tiere wie Geparden, Mäuse, Katzen, Schafe, Frösche, Hühner und Fabelwesen haben sich auf den Schachbrettern aufgestellt. Die Künstler lebten ihre Fantasie aus. Die Schachspiele strotzen vor Einfallsreichtum, zeigen exzellente filigrane Ausarbeitungen der einzelnen Figuren und alles leuchtet in der Vielfalt der Farben. Es gibt sogar ein Schachspiel, deren Figuren bisher sicher Whisky aufbewahren. Mit viel Liebe zum Detail wurden die ungewöhnlichen Schachfiguren, einmal Fingerhüte, das andere Mal Miniaturservices gestaltet:
Fingerhüte-Schachspiel, Porzellanmanufaktur Rudolf Kämmer, 1960
Schachspiel „Teeservice gegen Kaffeeservice“, Entwurf Jurij Garanin, 1980
So viel königliches und prächtiges Schach über mehrere Jahrhunderte wie in dieser Ausstellung wird es wohl so schnell nicht wieder zu sehen geben. Der Fotopoint für Erinnerungsfoto ist ein Mini-Schachcafé. Für so wenig Geld so viel bunte Schachwelt erleben, ist einzigartig in Deutschland. Hier sind alle Daten zur Ausstellung und den aktuellen Veranstaltungen des Begleitprogrammes. Ausstellungsdauer: 16. März bis 13. Oktober 2024
Dose in Form von zwei Schachspielern, Entwurf: Jurij Garanin, 1980
Schachspielendes Paar, Aelteste Volkstedter Porzellanmanufaktur, 2. Hälfte 20. Jahrhundert
Die Online-Schachlernplattform Chessable (Teil von Chess.com) sucht Studenten und Doktoranden sowie deren wissenschaftliche Betreuer, um sich für die „Chessable Research Awards 2024“ zu bewerben. Die betreuende Fakultät eines siegreichen Teilnehmers erhält 500 Dollar. Jeder Student, der den Preis gewinnt, erhält 500 Dollar, und jeder Doktorand, der den Preis erhält, erhält 1.000 Dollar. Einsendeschluss für die Bewerbungen ist der 15. Mai 2024.
Die „Chessable Research Awards“ sind eine Initiative zur Förderung der Schachforschung und zur Entwicklung unseres Verständnisses dafür, wie das Schachspiel unser Leben bereichern kann, wie wir unser Wissen über das Spiel verbessern können und wie wir andere Phänomene sowohl innerhalb als auch außerhalb der Schachwelt verstehen können.
Bewerben können sich Studierende aller Fachrichtungen, z. B. kognitive Psychologie, Pädagogik, Literatur, Geschichte, Informatik usw.
Beispiele für relevante Themen sind unter anderem, wie sich das Schachspiel auf die Gesellschaft oder die persönliche Entwicklung auswirkt, Methoden zur Verbesserung des Auswendiglernens der Schachtheorie, das geschlechtsspezifische Unterschiede beim Schachspiel, die Anwendung von Ideen aus dem Schachspiel zur Lösung von Problemen der realen Welt, usw.
Weitere Informationen über das Wissenschaftsteam von Chessable und seine Initiativen finden Sie unter https://www.chessable.com/science und klicken Sie auf den grünen Balken „Schau Dir unsere aktuellen Forschungsprojekte an“.
Im Rahmen eines größeren Forschungsprojekts zur Psychologie von Schachspielern und Schachspielerinnen an der Universität Hamburg führen wir derzeit eine Studie über die Auswirkungen von mentaler Vorbereitung beim Schach durch. Dafür suchen wir Schachspieler und Schachspielerinnen, die an unserer Studie teilnehmen möchten und über einen Elo-Wert (entweder über eine Vereinsliste oder von einem Online-Schachanbieter) verfügen. Daher möchten wir Sie bitten, den Link zu unserer Online-Umfrage an die Mitglieder Ihres Schachvereins weiterzuleiten (z.B. über Ihren E-Mail-Verteiler oder Newsletter):
Die Online-Studie muss am Laptop oder PC in den Browsern Mozilla Firefox oder Microsoft Edge durchgeführt werden und dauert etwa 45 Minuten, wobei die Hälfte der Zeit Online-Schach gespielt wird.
Es handelt sich um eine rein wissenschaftliche, nicht-kommerzielle Studie, die von der Lokalen Ethik-Kommission der Universität vorab geprüft und als unbedenklich eingestuft wurde. Alle im Rahmen der Studie gesammelten Daten unterliegen den geltenden Datenschutzrichtlinien. Als Belohnung verlosen wir unter den Teilnehmenden insgesamt 7 Online-Gutscheine: Für eine Diamant-Mitgliedschaft bei chess.com sowie zwei 50€- und vier 25€-Gutscheinen für die Schachzubehör-Onlinehändler Chessware und Euroschach.
Wir würden uns sehr freuen, wenn Sie unsere Schach-Forschung unterstützen würden und stehen für Rückfragen gerne zur Verfügung!
Mehr Lernerfolg – Was Schach und MINT-Fächer miteinander verbindet
„Das Schachspiel ist nicht bloß eine müßige Unterhaltung. Verschiedene schätzbare und im Laufe des menschlichen Lebens nützliche Eigenschaften des Geistes können dadurch erworben oder gekräftigt werden, so dass sie Gewohnheiten werden, die uns nie im Stich lassen.“ (Benjamin Franklin)[1]
Die Stärke der Industrienation Deutschland gründet sich auf das naturwissenschaftliche Know-how und die Ingenieurkunst. Attraktive Berufe mit guten Verdienstmöglichkeiten, zu denen die MINT-Berufe zählen, setzen hinreichend gute mathematische Fähigkeiten und gute Sprachfähigkeiten voraus. Der Fachkräftemangel und die Schaffung von Zukunftsperspektiven gebieten, dass alles unternommen werden muss, um den Schülern das Aneignen mathematischer Kenntnisse und sprachlicher Fertigkeiten zu erleichtern und den Weg zu den MINT-Berufen zu ebnen. Leider bescheinigen verschiedene Studien der letzten Jahre den deutschen Schülern schlechter werdende Kenntnisse und Fähigkeiten in Mathematik. Die Ergebnisse der in 2018 durchgeführten Befragung mit Neuntklässlern, wie sie den Mathematikunterricht einschätzen, geben deutliche Hinweise auf wirksame Maßnahmen zur Leistungsverbesserung:
„Im Rahmen der Studie konnte die theoretisch hergeleitete These, dass der Mathematikunterricht systematisch zur Meidung von Mathematik erzieht, empirisch bestätigt werden. Über Schulen, Bundesländer und Schulformen hinweg bringt der gegenwärtige Mathematikunterricht große Gruppen von Schülern hervor, die sich nicht für Mathematik interessieren und darüber hinaus gelernt haben, die Beschäftigung mit Mathematik mit Unwohlsein zu verbinden. Damit ist die Vermutung gestützt, dass der Mathematikunterricht dazu beiträgt, einen Teil der Schülerschaft zu meidenden Duldern der Mathematik zu erziehen…“[2]
Das altehrwürdige und weltweit verbreitete Schachspiel ist auch im 21. Jahrhundert ein geeignetes Instrument, um die Herausforderungen im Zeitalter von Computer und Künstlicher Intelligenz zu meistern. Weltweite Untersuchungen belegen, dass das Schachspielen zu besseren Schulleistungen führt. Außerdem ist Schach eine kostengünstige Möglichkeit, den Schülern den Zugang zu Mathematik und Naturwissenschaften leichter zu gestalten, weil Schach überall gespielt werden kann und die dafür notwendigen Utensilien nicht teuer sind. Im Schachspiel lernen die Schüler spielerisch unterschiedliche Fähigkeiten, die sich auf die naturwissenschaftlichen Schulfächer und persönliche Einstellungen der Schüler positiv auswirken. In dem vorliegenden Plädoyer für „Schach in der Schule“ werden die im regelmäßigen Schachunterricht liegenden Ressourcen für mehr Lernerfolg beschrieben. Zunächst werden einige Vorbetrachtungen angestellt.
Wikinger-Schachspiel, Messing- und Kupferblech, Künstler: Andrzej Nowakowski
1. Mathematik und Deutsch – Fähigkeiten der Schüler in Deutschland
Laut dem IQB-Bildungstrend 2021 haben sich bei den Viertklässlern die Kompetenzen in Deutsch und Mathematik deutlich verschlechtert. Der Anteil der Schüler, die in Orthografie den Mindeststandard verfehlen, beträgt für Deutschland insgesamt etwa 30 Prozent. Der Anteil der Viertklässler, die in Deutschland insgesamt den Regelstandard im Bereich Orthografie erreichen oder übertreffen, beträgt etwa 44 Prozent, also weniger als die Hälfte.[3]
Der Anteil der Viertklässler, die im Kompetenzbereich Lesen mindestens den Regelstandard erreicht haben, sank auf 58 Prozent im Jahr 2021.[4] Das ist mehr als bedenklich, schließlich wird für das Lösen der Textaufgaben in Mathematik, Chemie, Physik, Biologie und Geografie die Kompetenz „Verstehendes Lesen“ benötigt.
Der Anteil der leistungsstarken Schüler, die den Regelstandard erreichen oder übertreffen, hat in den Fächern Deutsch und Mathematik abgenommen. Zugleich hat der Anteil der Schüler, die den Mindeststandard nicht erreichen und damit ein hohes Risiko für einen weniger erfolgreichen Bildungsweg aufweisen, in allen Kompetenzbereichen teils deutlich zugenommen.[5]
Wie sieht es in höheren Klassen aus? Laut der letzten PISA-Studie aus 2018 sank die mittlere mathematische Kompetenz der Fünfzehnjährigen in Deutschland gegenüber PISA 2015 und PISA 2012. Im Vergleich zu dem bei PISA 2012 erreichten Höchstwert ergibt sich bei PISA 2018 ein signifikanter Rückgang der mathematischen Kompetenz. Weiterhin wird festgestellt, dass seit PISA 2003 die Mittelwerte der mathematischen Kompetenz an Gymnasien fast kontinuierlich geringer werden. In PISA 2015 erreichten die Schüler an Gymnasien bereits schwächere Leistungen als in den Erhebungen früherer PISA-Studien.[6]
Insbesondere ist der Anteil der Schüler an nicht gymnasialen Schulen, die nur die untersten Kompetenzstufen erreichen, mit knapp 30 Prozent sehr hoch. Diese haben ein besonders hohes Risiko, die Schule ohne Haupt- oder Realabschluss abzubrechen.
Während die mathematische Kompetenz bei Mädchen in Deutschland laut PISA-Studie 2018 im Vergleich zu PISA 2012 weitgehend unverändert blieb, hat diese bei den Jungen seit 2012 um knapp 17 Punkte signifikant abgenommen.[7]
Die Quote der Jugendlichen mit Abitur oder Fachhochschulreife ist seit 2014 gesunken. Dagegen stieg im selben Zeitraum die Zahl der Schulabgänger, die nicht mindestens einen Hauptschulabschluss erreicht haben. (Spiegel, 23.06.2020)[8]
2019 wurde ein bemerkenswerter Brief an die Kultusministerkonferenz geschrieben, der von hunderten Professoren, Wissenschaftlern und Persönlichkeiten unterzeichnet war. In dem Schreiben wurde beklagt, dass seit dem Brandbrief von hunderten Professoren aus 2017 sich im Lehrplan „Mathematik“ kaum etwas positiv verändert hat.[9] Die Aktualität des genannten Brandbriefes kann am Beispiel der Prozentrechnung illustriert werden. Es gibt Mathematikdidaktiker die beim Lösungsschema Dreisatz (s. Abb.1) wenig Raum für Kopfrechenstrategien sehen.
Abb.1 Rechenschema Dreisatz
Aus einer Längsschnittuntersuchung zur Prozentrechnung im Mathematikunterricht weiß man, dass Lernende aller Schularten flächendeckend zwar relativ viele Aufgaben bearbeiten, dabei jedoch flächendeckend weniger als 50 % richtige Lösungen erzielen.[10] In sehr vielen Schulen wird zur Lösung von Prozentaufgaben das Rechenschema „Dreisatz“ gelehrt. Die Zuordnung zu den Begriffen Grundwert, Proportionalitätsfaktor bereitet Schwierigkeiten. Ein Wechsel vom Lösungsschema „Dreisatz“ zum Lösungsschema „Verhältnisgleichung“ scheint vorerst nicht möglich zu sein. Das Lösungsmuster „Verhältnisgleichung als Bruchgleichung“ findet bei Didaktikern wenig Anklang.[11] Nach Auffassung des Verfassers dieses Artikels hat der Dreisatz viele Nachteile hinsichtlich Lernverständnis und Anwendung in anderen Fächern. (siehe Anhang B)
Wir leben heute in einer Informationsgesellschaft, die die Menschen ständig fordert, sich immer wieder mit neuen Wissen und Technologien zu beschäftigen. Die Bewältigung gelingt denjenigen besser, der die dafür erforderlichen Persönlichkeitsmerkmale und Fähigkeiten mitbringt wie Lernbereitschaft, Motivation, Verantwortungsbewusstsein, Zuverlässigkeit, Flexibilität, Gewissenhaftigkeit, Selbstbewusstsein, Offenheit, Aufmerksamkeit, Konzentrationsfähigkeit. Die Wirtschaft befindet sich im globalen Wettbewerb um gut ausgebildete Fachkräfte. Bei den Entscheidungen über Investitionen in neue Standorte oder Erweiterungen bestehender Standorte spielt auch das Vorhandensein qualifizierter Fachkräfte eine Rolle.
1.1. Ursachen für Probleme in Mathematik und Deutsch
Die Nutzung von Zeitungen und Zeitschriften veränderten sich in den letzten Jahrzehnten stark. Im 19. und 20. Jahrhundert boten Zeitungen und Zeitschriften allerlei anspruchsvolle Rätselaufgaben zur Unterhaltung an. Rösselsprungaufgaben in kleinen und großen Feldern, Schach- und Dameaufgaben, Detektivaufgaben, Sprachspiele.
Abb.2 Rätsel aus der Zeitschrift Gartenlaube, 1890[12]
Solche anspruchsvollen Denksporträtsel findet man in heutigen Zeitschriften und Zeitungen selten. Im Internet muss man bewusst solche Angebote suchen und Websites ansteuern bzw. geeignete Apps im Appstore finden und herunterladen. Das zufällige Beschäftigen mit solchen Rätseln und das beiläufige Lernen durch das Lösen solcher Rätsel ist heute schwieriger.
„Wenn Kinder mit Mathematik auf Kriegsfuß stehen, attestieren ihnen Experten häufig eine so genannte Rechenschwäche. Doch dieser Begriff lädt die Schuld zu Unrecht bei den Betroffenen selbst ab, meint der Mathematikdidaktiker Wolfram Meyerhöfer von der Universität Paderborn. Jedes Kind könne rechnen lernen – mit den richtigen Methoden.“[13]
Schüler mit besonderen Schwierigkeiten beim Mathematiklernen in der Grundschule haben Schwierigkeiten sich vom zählenden Rechnen zu lösen und zum denkenden Rechnen überzugehen. Zählendes Rechnen nimmt mehr Ressourcen im Gehirn in Anspruch, dauert länger und stößt bei Rechnen mit größeren Zahlen an Grenzen. Es wird immer schwieriger, Lernfortschritte zu erzielen. Als Prävention werden Übungen zum Zerlegen, Vergleichen, Quantifizieren von Mengen genannt. Die erfolgreiche Prävention stützt sich auf die Fähigkeit des Identifizierens und Benennens von Strukturen und Mengen, die der Lernende haben oder erwerben muss. Viele Schüler haben Probleme mit mehrstelligen Zahlen, dass sie die mehrstelligen Zahlen als Ziffernfolge wahrnehmen und weniger das Zahlenmuster erkennen[14], zum Beispiel, dass zweistellige Zahlen aus den Zehnern und Einer oder die dreistelligen Zahlen aus Hundertern, Zehnern und Einern gebildet werden.
Das Rechnen scheitert – „wenn die Zahlzerlegungen bis inklusive der Zehn nicht vollständig automatisiert wurden und bereits automatisierte Aufgaben nicht für Ableitungen [Mustervergleiche] genutzt werden können, bleibt den Schülern ausschließlich das Zählen als einzig verfügbares Lösungswerkzeug, neben dem Abruf bereits automatisierter Rechenaufgaben. Die Automatisierung ihrerseits wird aber durch die dauerhafte Praxis des zählenden Rechnens zumindest erschwert.“[15] Die geforderte Automatisierung setzt ihrerseits voraus, dass die erforderlichen Informationen in Mustern und Bildern, die untereinander in Beziehung stehen, in einer Bibliothek im Langzeitgedächtnis abrufbereit vorhanden sind. Der wesentliche Vorteil der Automatisierung ist, dass automatische Prozesse parallel ablaufen können, ressourcenschonend sind, keine nennenswerte Aufmerksamkeit und Konzentration benötigen. Das Arbeitsgedächtnis ist das Nadelöhr zum Langzeitgedächtnis. Die eingehenden Informationen im Gehirn werden im Arbeitsgedächtnis verarbeitet, d.h. die Informationen werden identifiziert, verglichen, bewertet, kodiert, gespeichert. Die Ausprägung des Arbeitsgedächtnisses bestimmt dessen Leistungsfähigkeit. Ein unzureichend entwickeltes Arbeitsgedächtnis behindert die Informationsaufnahme und –verarbeitung, was sich negativ auf die Lernleistung auswirkt.
„Geht es im Mathematikunterricht zum Beispiel um den Aufbau von mentalen Vorstellungsbildern, wie dem des 20er-Feldes, muss davon ausgegangen werden, dass Kinder mit besseren Arbeitsgedächtnisressourcen einen Vorteil beim Wissensaufbau haben. Somit erscheint eine Kompensation von defizitären Arbeitsgedächtnisfunktionen zur Schaffung besserer Lernvoraussetzungen notwendig.“[16] Die Addition mehrstelliger Zahlen geht mit einer komplexen Informationsverarbeitung im Arbeitsgedächtnis einher: Das Arbeitsgedächtnis speichert bei mehrstelligen mentalen Additionsaufgaben nicht nur die Summanden und ruft das Ergebnis aus dem Langzeitgedächtnis ab, sondern hält auch Zwischenergebnisse bereit und initiiert und überwacht die Auswahl und Durchführung von komplexen Rechenalgorithmen.[17]
Insbesondere die grammatikalischen Fähigkeiten beeinflussen langfristig das mathematische Lernen.[18] Grammatik enthält das Regelwerk der Sprache und beschreibt die Struktur der Sprache. Die Satzstruktur hat einen Einfluss darauf, welche zusätzliche Information wahrgenommen wird. So kann die Reihenfolge einzelner Wörter den Informationswert einzelner damit bezeichneter Objekte erhöhen oder mindern. Noch schwieriger ist die Vermittlung der phonetischen Information, denn die besondere Betonung eines Wortes kann zu unterschiedlichen Wahrnehmungen der Information führen, beispielsweise, dass zum Handeln aufgefordert wird oder dass ein Vorwurf herausgelesen wird. Daraus lässt sich schlussfolgern, dass ein Minimum an fachlichem Sprachwortschatz vorhanden sein muss, um die über die Sprache erhaltene Information entsprechend ihrer tatsächlichen Absicht aufzunehmen und zu verarbeiten, also zu erkennen, zu vergleichen, zuzuordnen und zu bewerten. Je größer der Sprachwortschatz ist, umso besser ist Kommunikation möglich, weil Sachverhalte besser erfasst, verstanden und reflektiert werden, was bezogen auf die MINT-Fächer von großer Bedeutung ist.
Das Fach Physik wird von Schülern als besonders schwer eingeschätzt. Physikalische Prozesse werden mit der Sprache der Mathematik beschrieben. Die sprachliche Beschreibung des physikalischen Vorganges kann die zugrundeliegenden Mechanismen und Erkenntnisse nicht in der Komplexität und Vielfalt abbilden wie es die dazugehörigen physikalischen Formeln in mathematischer Schreibweise vermögen. Die gefundenen mathematischen Gleichungen sind selbst Teil des Erkenntnisprozesses. In der Atomphysik gibt es viele Beispiele für Vorhersagen von Teilchen, deren Existenz erst viel später durch extrem aufwendige Experimente bestätigt wurden. Die Reduktion realer Prozesse auf mathematische Symbole und Gleichungen bereitet den Lernenden Schwierigkeiten Für das Verständnis und den Lernerfolg im Fach Physik wie auch in anderen Naturwissenschaften und in vielen Bereichen der Betriebswirtschaftslehre kommt es auf die Fähigkeit an, die mathematische Gleichung zu interpretieren, also weitere Erkenntnisse aus der Gleichung abzuleiten.
Beispiel: Geschwindigkeit
Abb.3 v – Geschwindigkeit, s – Weg, t – Zeit
Die Geschwindigkeit ist der innerhalb einer bestimmten Zeit zurückgelegte Weg. Die Gleichung enthält noch viel mehr Informationen als den gerade genannten Fakt. Die ihr inne liegende Dynamik wird mit der Interpretation sichtbar. Je größer der zurückgelegte Weg in der gleichen Zeiteinheit ist, umso größer ist die Geschwindigkeit oder je weniger Weg in der gleichen Zeiteinheit zurückgelegt wird, umso kleiner ist die Geschwindigkeit. Man kann aber auch herauslesen, dass bei gleicher Geschwindigkeit der zurückgelegte Weg zunimmt, wenn die Zeitdauer wächst. In der Alltagssprache würde man sagen: „Je länger gefahren wird, umso mehr Wegstrecke wird zurückgelegt.“ Nach Umstellung der Formel, kann diese Beziehung unmittelbar abgelesen werden:
Abb.4
Die Alltagserfahrung ist in der Gleichung enthalten. Die Interpretation der Ergebnisse erfordert Übung, denn die mathematischen Ergebnisse müssen in die reale Welt übersetzt werden. Der Begriff „Leistung“ kommt in der Physik wie in der Betriebswirtschaftslehre vor und ist gleich definiert als „Leistung gleich Arbeit je Zeiteinheit“
Abb.5 Leistung
Den Unterschied macht die Interpretation des Begriffes „Arbeit“. In der Physik ist Arbeit eine Energiegröße während in der Betriebswirtschaft der mengenmäßige Output gemeint ist.
Der in Deutschland an vielen Stellen anzutreffende Trend der leichten Sprache muss ernsthaft hinterfragt werden. Wortschatzübungen wie Wortfelder verdeutlichen, dass die Sprache ein mächtiges Instrument zur Beschreibung der Wirklichkeit ist. Gute Ausdrucksfähigkeit baut auf einen reichhaltigen Wortschatz auf. Treffende Wortwahl verbessert die Ausdruckskraft und reduziert Missverständnisse in der Kommunikation. Die Fachsprache spiegelt die Gedankenwelt des jeweiligen Faches wieder und normiert die Begriffe der Alltagssprache auf das betreffende Fachgebiet. Ein weiterer Schlüsselfaktor für die geistige und psychomotorische Entwicklung des Kindes ist die Erweiterung des Wortschatzes, denn Kinder brauchen neue Informationen, um einen Gedankenfilter zu entwickeln, der eine Auswahl ermöglicht.[19] Es scheint ein Irrtum vorzuliegen, das „leichte Sprache“ tatsächlich einfacher zu verstehen ist:
„Mit ihren Aussagen im Reflexionsinterview bestätigten die Schüler […] nur teilweise die Annahme, dass Fachbegriffe ein physikalisches Problem verkomplizieren. Tatsächlich wirkt eine Aufgabe mit Fachwörtern und neuen Begriffen auf sie nur auf den ersten Blick schwierig. Bei genauerem Hinsehen erweisen sich die Fachbegriffe dagegen als hilfreich für die Formelfindung, da ohne die Fachbegriffe Bekanntes aus dem Unterricht und Wesentliches für die Bearbeitung fehle.“[20]
1.2. Angst vor dem Unterrichtsfach Mathematik und den MINT-Fächern
„Es ist unmöglich, die Schönheiten der Naturgesetze angemessen zu vermitteln, wenn jemand die Mathematik nicht versteht. Ich bedaure das, aber es ist wohl so.“ (Richard Feynman)[21]
Aus dem Sport und der Medizin weiß man, dass Selbstvertrauen und Willen mächtige Erfolgsfaktoren sind. Angst hingegen fordert den Misserfolg geradezu heraus. So wundert es nicht, dass für die Berufsfindung die Erfolgserwartungen, die man sich in dem jeweiligen Berufsfeld zuschreibt, eine große Rolle spielen. Das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten beeinflusst auch, wie viel Energie für das Erlernen neuer Kompetenzen aufgewendet wird. Die Einstellung, dass man grundsätzlich gut in einem bestimmten Bereich – wie zum Beispiel Mathematik – ist, führt auch zu einer größeren Bereitschaft, mehr Zeit in das Bearbeiten neuer Problemstellungen zu investieren, weil man ex-ante davon ausgeht, dass es einem gelingen wird, die Problemstellung zu lösen (Lin-Siegler et al., 2016).
Persönliche Einstellungen und Überzeugungen haben einen großen Einfluss auf den Lernerfolg, Der Glaube und die Überzeugung der Schüler, dass der Erfolg in den Naturwissenschaften von besonderen Begabungen abhängt, wirkt sich negativ auf ihre Lernmotivation aus. Es hat sich gezeigt, dass solche Überzeugungen Gründe sind, weshalb Schüler naturwissenschaftliche und mathematische Fächer weniger mögen.[22]
Das Berichten darüber, dass auch erfolgreiche Wissenschaftler vor ihren Entdeckungen Misserfolge erlebten, kann den Schülern helfen, ihre Schwierigkeiten im naturwissenschaftlichen Unterricht als normale Ereignisse wahrzunehmen und nicht als Ausdruck mangelnder Intelligenz oder Begabung für diese Fächer. Als erfolgversprechender Weg, die Schüler für Naturwissenschaften stärker zu interessieren, erwies sich, den Schüler zu zeigen, welche Schwierigkeiten Wissenschaftler auf Ihrem Weg zu den Entdeckungen überwinden mussten.[23] Auf diese Weise erfahren die Schüler, dass Fleiß und Beharrlichkeit sich am Ende auszahlen. Kontraproduktiv sind die vielen Äußerungen von prominenten Persönlichkeiten in den Medien, die sich darin übertreffen, zu erklären, wie schwer Mathematik ist. Es muss ein gesellschaftlicher Wandel stattfinden:
„Es geht auch darum, das Image von Mathe in der Gesellschaft zuverbessern, um mehr Heranwachsende für das Fach begeistern zu können. Doch oft sei es laut Professor Weitz noch so, dass es ein kulturelles, gesellschaftliches Phänomen gibt, in dem von vornherein allen implizit klargemacht wird, dass Mathe doof ist. Diese Denkweise hemme das Lernen.“
(Edmund Weitz, Professor für Mathematik und Informatik an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg,)[24]
Aus Erfahrung weiß man, dass Angst lähmend wirkt. Angst vor Mathematik ist ein ernstzunehmendes Hindernis auf dem Weg zu besseren mathematischen Fähigkeiten.
„Mathematikangst ist eine leistungsbezogene Emotion, die ein Gefühl von Anspannung, Besorgnis oder Furcht bei der Bearbeitung mathematischer Probleme im täglichen Leben und in der Schule beschreibt. Mathematikangst weist negative Zusammenhänge mit der Mathematikkompetenz und dem mathematischen Selbstkonzept auf und trägt dazu bei, dass Situationen vermieden werden, die mathematische Anforderungen beinhalten (z.B. Studiengangs- oder Berufswahl mit mathematischen Inhalten; Pekrun, 2006).“[25]
Die Studie „IQB-Bildungstrends 2021“ erfasste auch die Ängstlichkeit der Schüler. Fast jedes vierte Kind (23%) gab hohe Ängstlichkeit für das Fach Mathematik an. Weniger als die Hälfte der Kinder (40%) gab an, wenig Angst im Fach Mathematik zu haben. Mathematikängstlichkeit bedeutet oft, dass mathematisch anspruchsvollere Berufe vermieden werden, die vielfach bessere Verdienstmöglichkeiten bieten als „nichtmathematische“ Berufe.
Die Zahl der Schüler, die Angst vor Mathematik haben, ist in der Vergangenheit in Deutschland angestiegen. Vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels sollte alles getan werden, diesen Trend schnellstens umzukehren.
Wie kann der Mathematikunterricht erfolgversprechender gestaltet werden? Erfolgreiche Lehr-Lernprozesse hängen kaum mit einer bestimmten methodischen Unterrichtsgestaltung beziehungsweise Sichtstruktur zusammen, sondern die Tiefenstrukturen sind entscheidend, die sich auf die Qualität der Auseinandersetzung der Lernenden mit den Lerninhalten und die Interaktionen der Schüler untereinander sowie mit der Lehrkraft beziehen.“ [26]
Unter Tiefenstrukturen sind die psychologisch-pädagogischen Prozessqualitäten von Unterricht zu verstehen, wie beispielsweise kognitive Aktivierung, adaptive Lernunterstützung oder Verstehensklarheit. Tiefenstrukturen können mit drei Unterrichtsqualitätsdimensionen bewertet werden:
Classroom-Management. Darunter fällt die Klassenführung. Es geht darum, dass die Schüler die Lernzeit effektiv nutzen können, indem die Lehrperson beispielsweise Störungen vorbeugt und für klar strukturierte Abläufe im Unterricht sorgt.
Konstruktive Lernunterstützung. Dazu gehören Aspekte wie Feedback, Lernprozessunterstützung, Fehlerkultur – also um die Frage, ob Fehler auch als Lernchance gesehen werden.
Kognitive Aktivierung. Im Zentrum steht hier, ob gute Aufgaben gestellt werden, die differenzieren, anregend sind und auf verschiedenen Kompetenzstufen gelöst werden können.[27]
Einfache Lösungen gibt es nicht. Ein möglicher Weg kann das spielerische Moment im Unterricht sein, bei dem gleichzeitig viele wichtige Kompetenzen gefördert werden. Schach ist ein solches Spiel, das Aktivitäten beinhaltet, die Kindern freudige Spielerfahrungen bieten und gleichzeitig ihr Interesse an der Erforschung der Symbole und Regeln wecken können. Es ist ein Spiel mit weitreichender, universeller Popularität und einem leicht erkennbaren Konzept und Grundregeln.[28]
Das Schachspiel hat seine Qualitäten hinsichtlich der Verbesserung der mathematischen Leistungen von Schülern in vielen internationalen Studien bewiesen. Was sind die Gründe, dass Schach sichtbare Verbesserungen in den schulischen Leistungen, vor allem Mathematik, bewirkt?
1.3. Welche Fähigkeiten werden in Mathematik und den MINT-Fächern benötigt?
„Was Menschen mit der Sprache der Mathematik bezwecken, ist die Beschreibung von Mustern.“ (Lynn Arthur Steen, 1990)[29]
Zur Beantwortung dieser Frage wird die Denk- und Vorgehensweise der Naturwissenschaftler betrachtet. Wissenschaftliches Denken wird definiert als die Fähigkeit, Hypothesen, Theorien und Daten zu generieren, zu testen, zu bewerten und diesen Prozess zu reflektieren.[30]
Mathematik wird als die Wissenschaft von Mustern verstanden. Muster werden oft durch Beziehungen und Funktionen ausgedrückt. Tabellen, Diagramme, Formeln und Grafiken gehören zu den vielen Mitteln, die verwendet werden, um Muster und Beziehungen darzustellen (z. B. zwischen Celsius und Kelvin, Zoll und Zentimeter, Geschwindigkeit und Zeit). Zusammenhänge stellen Querverbindungen her und verdeutlichen Abhängigkeiten; sie zeigen Korrelationen auf oder bestätigen die Eigenständigkeit. Manche Zusammenhänge sind direkt, andere indirekt; manche zeigen stetige Verläufe, andere schwanken; manche sind stetig, andere unstetig. Die meisten können in verschiedenen Darstellungsformen wiedergegeben werden – grafisch, verbal, numerisch oder analytisch. In der Tat werden die Muster der Mathematik oft am effektivsten durch das Zusammenspiel dieser verschiedenen Darstellungsformen sichtbar.[31] Zusammengefasst gründet sich das Lösen mathematischer Aufgabenstellungen auf das Wissen und die Anwendung verschiedener Techniken und Methoden der Mustererkennung.[32]
In Chemie und Physik werden Denkmodelle verwendet, die die Wirklichkeit auf wesentliche Inhalte reduziert und idealisiert. Sachverhalte und Prozesse werden mit mathematischen Symbolen und Gleichungen abgebildet. Im Zuge des Erkenntnisgewinns werden die Denkmodelle erweitert und angepasst. Mathematische Methoden sind erforderlich, um Zusammenhänge zu erfassen, Naturvorgänge zu beschreiben, Lösungen zu finden und Ergebnisse zu überprüfen.
Sach- bzw. Textaufgaben in den naturwissenschaftlichen Fächern spiegeln gewöhnlich real mögliche Ereignisse wieder. Ziel der Textaufgaben ist es, Praxisnähe zu erreichen und die Schüler zur Anwendung mathematischer und naturwissenschaftlicher Methoden zu befähigen. Der Weg zur Lösung ist das Finden eines adäquaten mathematischen oder naturwissenschaftlichen Musters, das der Aufgabe am nächsten kommt.[33] Dazu braucht man die Fähigkeit
des verstehenden Lesens, um den Inhalt zu erfassen
des Analysierens, um die Komplexität der Aufgabenstellung zu bestimmen und einzelne Teilaufgaben abzuleiten,
des Planens und Strukturierens, um Vorgehensweise und Abfolge festzulegen,
des Bewertens, um die gefundene Lösung zu überprüfen, ob das gewonnene Ergebnis der Aufgabenstellung gerecht wird
In den USA wurden Studienergebnisse veröffentlicht, welche Probleme die Schüler im Physikunterricht haben.[34] Das Verstehen der Aufgabenstellung und des physikalischen Kontextes sind Voraussetzungen, um die Aufgaben erfolgreich zu bewältigen. Die Wissensanwendung baut auf das Vorhandensein effektiver Heuristiken zur Problemlösung. Die Leistungsfähigkeit des Arbeitsgedächtnisses und die Art und Weise, wie das Wissen (Informationen) im Langzeitgedächtnis des Schülers gespeichert ist, bestimmen, wie effektiv, die Aufgabe gelöst werden kann. Maßnahmen wie analoges Denken, Gruppenarbeit, stärkere Selbstreflexion, Durchdenken der Aufgabe mit externer Anleitung werden als probate Möglichkeit gesehen, den Schülern zum Lernerfolg zu verhelfen.
Das Trainieren der Mustererkennung und des Arbeitsgedächtnisses müssen der Schlüssel zu mehr Lernerfolg in der Schule sein. Hausaufgaben werden in der Schule erteilt, dass der Schüler sich mit dem im Unterricht vermittelten Wissen noch einmal beschäftigt, sich auseinandersetzt und verinnerlicht. Das Schreiben und das Durchführen von Experimenten unterstützen den Prozess der Wissensaneignung und Verinnerlichung des Wissens. Die Wissenschaft bestätigt die hier beschriebenen Erfahrungen:
Die meisten Forscher sind sich einig, dass die Mustererkennung auf der Grundlage von zuvor gespeichertem Wissen einer der Hauptgründe für die überlegene Leistung von Experten ist.[35]
Wie also können Kinder die Fähigkeit der Mustererkennung trainieren? Mit Schach werden spielend Fähigkeiten zur Filterung von Informationen und zur Mustererkennung trainiert. Das Schachspiel kann hervorragende Dienste als didaktisches Lerninstrument leisten.
2. Mustererkennung in Schulfächern wie Mathematik, Geometrie, Deutsch
„Der Mensch ist immer noch der beste Computer. (John F. Kennedy)“[36]
2.1. Mathematik in der Schule – Mustererkennung
Wie Wörter sich aus Buchstaben zusammensetzen, so setzen sich Zahlen aus Ziffern zusammen. Ausländer, die die deutsche Sprache erlernen, haben anfangs Mühe, wie der Deutsche Zahlen in Worten ausdrückt:
Zahl
Deutsch
Englisch
Französisch
21
Einundzwanzig
twenty-one
vingt et un
22
zweiundzwanzig
twenty-two
vingt-deux
233
zweihundertzweiundzwanzig
two hundred and twenty-two
deux cent vingt-deux
Der Deutsche nennt zuerst den Einer und dann den Zehner. Das führt zu Irritationen. Das kann bei Kindern mit Migrationshintergrund ein Problem darstellen, was durch Üben und aktives Sprechen ausgeräumt werden muss.
Jede Sprache hat ihre Besonderheiten. Die Zahlen 70, 80, 90 und 95 in der französischen Sprache gleichen einer Rechenaufgabe:
70
soixante-dix
60 + 10
80
quatre-vingts
4*20
90
quatre-vingt-dix
4*20 +10
95
quatre-vingt-quinze
4*20 + 15
Daraus kann nicht abgeleitet werden, dass die deutsche Sprache leichter oder schwerer als die französische Sprache ist oder dass die Kinder eines Landes leichter das Rechnen erlernen.
Beim Lösen von Mathematikaufgaben, gerade in den unteren Schulklassen, geht es, vereinfacht gesagt, um Mustererkennung. Es gibt viele Ratgeber und didaktische Hilfsmittel, die erklären, wie Kinder die Addition von Zahlen über den Zahlenraum größer 10 hinaus lernen. Dieser Aufgabe liegt letztlich die Mustererkennung zugrunde. Denn die Addition nach folgendem Muster:
10 + 1 =11
10 + 8 =18
20 + 7 = 27
60 + 9 =69
macht deutlich, dass man bei diesem Typus einfach die Einerstelle „0“ durch den einstelligen Summanden ersetzt, um die Lösung zu erhalten. D.h. man ersetzt das Bild „0“ durch das Bild des einstelligen Summanden. Dieses Muster kann dann auf kompliziertere Additionsaufgaben übertragen werden. Dabei kommen weitere Muster beim Kopfrechnen zum Einsatz.
Das Einmaleins muss verinnerlicht worden sein. Eine Grundschullehrerin alten Schlages erklärte es den Grundschülern einst so: „Wenn ich Dich nachts wecke und dir eine Aufgabe stelle, dann muss die Antwort sofort aus der Pistole geschossen kommen.“ Diese einfachen Grundaufgaben werden für die Lösung komplexerer Rechenoperationen herangezogen. Deshalb ist es wichtig, dass Kinder die gesamte Mathematikaufgabe ins Heft schreiben und dann erst die Lösung ergänzen. So prägen sie sich die Aufgabe als Musterbild ein.[37]
2.2. Wahrscheinlichkeitsrechnung – Musterkennung und geistige Vorwegnahme
Der Einstieg für die Wahrscheinlichkeitsrechnung erfolgt oft an Beispielen zu Münzwurf, dem Würfeln oder verschiedenfarbigen Kugeln in einer Kiste.
Im Praxistest erleben die Kinder: Je mehr Münzwürfe stattfinden, umso mehr nähert sich die Gensamtzahlen der Ereignisse „Zahl“ und „Wappen“ einander an – dem Verhältnis 50:50 bezüglich der Gesamtzahl der Würfe. Die Visualisierung kann durch Führen einer Strichliste für die jeweiligen Ereignisse „Zahl“ und „Wappen“ erfolgen.
Bei der Frage, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, eine blaue Kugel zu ziehen, wenn sich in der Kiste 3 blaue Kugeln, 2 rote Kugeln und 5 grüne Kugeln befinden, muss zum Auffinden der richtigen Lösung planvoll vorgegangen werden. Die Erfahrung hilft begrenzt, denn man kann im Selbstversuch sofort mit dem ersten Griff eine blaue Kugel in der Hand halten als auch erst beim sechsten Griff in die Kiste. Nun kann man sich, ähnlich dem Münzwurf durch viele Versuche an das tatsächliche Ergebnis herantasten, was aber sehr zeitaufwendig ist. Vielmehr sollte ökonomisch gedacht werden, indem man nicht den Idealfall betrachtet, schon beim ersten Griff die blaue Kugel zu haben, was dann der Wahrscheinlichkeit Eins entspräche. Im Geiste spielt man die ungünstigen Szenarien durch. Dafür hilft es, sich die Kiste mit den farbigen Kugeln vorzustellen und zu visualisieren, welche Kugel in der Kiste verbleiben, wenn man eine Kugel herausnimmt. Man wird bemerken, dass zur Lösung der Aufgabe der ungünstigste Fall gefunden werden muss. Im vorliegenden Fall ist der ungünstigste Fall, dass zuerst alle roten und grünen Kugeln gezogen werden, ehe man mit Sicherheit eine blaue Kugel greift. Nun muss das gedankliche Ergebnis in der Sprache der Mathematik dargestellt werden.
Im Laufe der Mathematikausbildung in der Schule kommen neue Muster hinzu, die mit bisherigen kombiniert werden. Naturwissenschaftler greifen auf unterschiedliche „Rechentricks“ zurück, um Gleichungen und Brüche zu vereinfachen und zu lösen. Dabei geht es darum, komplizierte Terme auf einfachere Terme zurückzuführen, für die man Lösungsverfahren kennt. Typische Methoden sind Substitutionsverfahren, Verwendung der binomischen Formeln. Rechenvorteile zu erkennen und anzuwenden bedeutet: Selbstvertrauen in die eigenen Fähigkeiten zu besitzen sowie ein vorhandenes Spektrum an Lösungsmustern zu erweitern und zu optimieren.
2.3. Geometrie in der Schule – Musterkennung und Planung
Die Geometrie ist Mustererkennung pur. Anhand geometrischer Formen werden gern die Begriffe der Mengenlehre erklärt. Objekte mit gleichartigen Eigenschaften werden zu Mengen zusammengefasst.
Gesamtmenge
Viereck
Trapez
Rechteck
Teilmengen
Parallelogramm
Parallelogramm
Quadrat
Rhombus
Rechteck
Rechteck
Quadrat
Quadrat
Trapez
In der ebenen Geometrie ist ein Rechteck ein Viereck, dessen Innenwinkel alle rechte Winkel sind. Das bedeutet gleichzeitig, dass die gegenüberliegenden Seiten zueinander parallel verlaufen. Das Rechteck ist Spezialfall des Parallelogramms und damit auch des Trapezes. Beim Parallelogramm sind die gegenüberliegenden Seiten parallel. Die diagonal gegenüberliegenden Innenwinkel sind gleich groß. Beim Trapez sind 2 Seiten parallel zueinander. Ein Sonderfall des Rechtecks ist das Quadrat, bei dem zusätzlich alle Seiten gleich lang sind. Diese unterschiedlichen Bezeichnungen sind Teil der Fachsprache „Geometrie“, was nicht ausschließt, dass einige dieser Fachausdrücke in der Alltagssprache oft anzutreffen sind.
Beim Zeichnen maßstabsgerechter geometrischer Figuren muss die Vorgehensweise im Geiste geplant und die Abfolge der Schritte geprüft werden. Abhängig von den vorhandenen Angaben gibt es unterschiedliche Vorgehensweisen beim Zeichnen der geometrischen Formen.
Beispiel Dreieck
Wenn eine Seite (AB) und zwei Winkel (1,2) des Dreieckes ABC gegeben sind, dann wird nach folgendem Schema vorgegangen:
Strecke AB (bekannte Seite) zeichnen
eine Gerade durch den Schnittpunkt A mit dem Winkel 1 wird eingezeichnet
eine Gerade durch den Schnittpunkt B mit dem Winkel 2 wird eingezeichnet
Der Punkt C des Dreiecks ist der Schnittpunkt der Geraden aus 2. Und 3
Wenn alle Seiten des Dreiecks (AB, AC, BC) bekannt sind, aber nicht die Winkel:
Strecke AB (bekannte Seite) zeichnen
Mit dem Zirkel von Punkt A wird Kreisbogen mit Radius=AC gezeichnet
Mit dem Zirkel von Punkt B wird Kreisbogen mit Radius=AB gezeichnet
Der Schnittpunkt der beiden Kreisbogen aus 2. und 3. wird mit den Punkten A und B verbunden.
Die Mustererkennung erweist bei der Planung gute Dienste, indem man die bekannten Größen des Dreiecks visualisiert. Die Musterkennung, Visualisierung und geistige Planung der Verfahrensschritte führen auch in anderen Schulfächern zum Erfolg.
Auch bei Sprache und Lesen geht es letztlich um Mustererkennung. Der einzelne Buchstabe hat gewöhnlich keine Bedeutung. Erst die Aneinanderreihung von mehreren Buchstaben ergibt ein Wort, was sowohl als visuelles Bild in Form des Wortes als Gesamtkombination aus einzelnen Buchstaben abgespeichert wird. Die Aneinanderreihung einzelner Laute, die Buchstaben oder Buchstabengruppen („sch“, „sp“ …) in der Bildsprache entsprechen, ergeben das ausgesprochene Wort. Die Aneinanderreihung ergibt ein Klangbild, was in Verbindung mit dem Objekt, dem Ereignis oder der Handlung abgespeichert ist. Das Klangbild der Wörter enthält zusätzliche Informationen im Vergleich zur schriftlichen Sprache und kann Gefühle auslösen. Aus dem Klangbild kann entnommen werden, ob es sich um eine Frage, Feststellung oder Aufforderung handelt, ob der Sprecher es eilig hat, ob es dem Sprecher langweilt oder interessiert, … Taube Menschen haben große Mühe, Wörter so auszusprechen, dass sie von ihren nichttauben Menschen mühelos verstanden werden. Den tauben Menschen fehlt die eigene Kontrollmöglichkeit, nämlich das Klangbild des Wortes zu vergleichen.
Im Gegensatz zur Mathematik kann man sich im Alltag ohne Kenntnis der Buchstaben und der Schreibweise verständigen, untereinander Informationen austauschen. Eine Fremdsprache kann ohne Kenntnis des Schriftbildes und der Buchstaben erlernt werden, wie man beispielsweise bei bilingual aufwachsenden Kindern beobachten kann. Da ist es unerheblich, ob es sich um eine Sprache handelt, die mit lateinischen Buchstaben oder kyrillischen Buchstaben visuell wiedergegeben wird. Für Hören und Sehen werden unterschiedliche Gehirnareale aktiviert.
Die Grammatik ist das Regelwerk der Sprache. Sie beschreibt u.a. wie die Zeitformen gebildet werden. Auch hier geht es um Musterkennung. In verschiedenen Sprachen wird zwischen regelmäßigen und unregelmäßigen Verben unterschieden. Die regelmäßigen Verben verfügen über feste Muster der Konjugation in den Zeitformen. Die Wortlehre liefert Muster und Methoden zur Wortbildung. So geben verschiedene typische Endungen Hinweise darauf, um welche Wortart es sich handelt ob es sich beispielsweise um ein Substantiv oder Adjektiv handelt:
Wie oben angedeutet wurde, ist der Wissenserwerb und die Steigerung der Schulleistungen ein sehr komplizierter Prozess mit vielen Einflussfaktoren. Trotz modernsten wissenschaftlicher Methoden und Techniken wird es keine hundertprozentige Sicherheit in allen Details geben.
Das Hauptproblem der Studien im Bildungsbereich ist generell, dass die Studienteilnehmer nicht einfach mal für eine gewisse Zeit isoliert werden können. Vielmehr befinden sie sich im permanenten Austausch mit ihrer Umgebung, unterliegen Launen und Stimmungsschwankungen, haben täglich wechselndes Wohlbefinden und wechselnde energetische Zustände.
Nicht alle Lehrende verstehen es gleich gut, die Schüler für das Unterrichtsfach oder das Schachspiel zu begeistern und mitzureißen. Es gibt Schüler, die eine Abneigung gegenüber dem Lehrenden haben und in der Folge wenig Motivation zum Lernen zeigen und sich in geringerem Maße um gute Resultate im Unterrichtsfach bemühen. Die Kinder befinden sich noch in der Wachstumsphase, d.h., mit zunehmenden Alter treten Veränderungen in Wahrnehmung, Sicht- und Verhaltensweisen ein. Jeder Mensch bringt von Natur aus unterschiedliche Voraussetzungen in Form seiner Gene mit. Die Forscher stehen bei der Entwicklung geeigneter Versuchsdesigns zur Überprüfung der Wirksamkeit von Maßnahmen zur Steigerung des Lernerfolgs vor immensen Herausforderungen.
Die Anforderungen in den Ausbildungsberufen und Studienrichtungen unterliegen Veränderungen. Die Wissensvermittlung muss sich den ändernden Bedingungen anpassen. Wissensvermittlung ist seit jeher eine Herausforderung. Allerorten werden Fachkräfte gesucht, die auch noch verschiedene Persönlichkeitsmerkmale mitbringen sollen. Gerade in der Bildung zeigt sich, dass viel Geld nicht automatisch viel hilft.
Entscheidungsträger in Politik, Wirtschaft und Verwaltung mögen konkrete Zahlen und Ergebnisse, die belegen, dass sich die gewünschten Ergebnisse auch einstellen werden. Wenn die Idee „Schach in der Schule“ zur Verbesserung schulischer Leistungen dargelegt wird, folgt sehr oft die Nachfrage nach Beweisen zur Wirksamkeit von Schach für mehr Lernerfolg. Es gibt hunderte Studien, die den Lernerfolg von Schach belegen und jede Studie hat hinsichtlich des Versuchsdesigns Stärken und Schwächen.
Wie sieht es bei aktuellen Themen in der Schule aus? Welche gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse gibt es zur Wirksamkeit verschiedener Unterrichtsmaßnahmen, zum Beispiel dem fächerübergreifenden Unterricht? Welche Erkenntnisse gibt es für die Wirksamkeit der Verlängerung der Unterrichtsstunde von 45 Minuten auf 60 oder 90 Minuten hinsichtlich der wünschenswerten Ziele von mehr Wissenszuwachs und mehr Lernerfolg, vor allem vor dem Hintergrund, dass die Pädagogen immer wieder die mangelnde Konzentrationsfähigkeit und fehlende Aufmerksamkeit bei den Schülern beklagen? In einer in 2021 veröffentlichten Studie heißt es: „Empirische Erkenntnisse darüber, ob sich die mit dem veränderten Stundentakt verbundenen Erwartungen bestätigen, liegen für das deutsche Schulsystem bisher kaum vor.“[38] Anschließend wurden die Ergebnisse von drei untersuchten Gymnasien (125 Lehrkräfte und 803 Schüler) vorgestellt. In der genannten Studie wurde nicht dargelegt, ob die Verlängerung der Unterrichtsstunden zu besseren Wissensständen und besseren Noten bei den Schülern führte, wie sich die verlängerte Unterrichtsstunde auf die Konzentration und Aufmerksamkeit der Schüler auswirkt. Wie wirkt sich die längere Unterrichtstunde an den Grundschulen, Mittel-, Real- und Oberschulen aus, wo mehr leistungsschwache Schüler lernen als an Gymnasien?
Der fächerübergreifende Unterricht wird seit sehr vielen Jahren propagiert und in den Schulen umgesetzt. Ziel des fächerübergreifenden Unterrichts ist der Wissenstransfer und die Verknüpfung von vorhandenen Wissen. Jetzt, in 2022, resümieren Haunhorst et al: „Die Lehramtsstudierenden erlangen vielfältige Kompetenzen im Unterrichten der eigenen Fächer, jedoch wenige Kompetenzen im fächerübergreifenden Unterricht.“[39] Weiter wird festgestellt, dass die Datenlage unzureichend ist und dass es große Probleme bei der Konzipierung eines Forschungsdesigns zur Evaluation des fächerübergreifenden Unterrichts gibt. Als Bedingung für den Erfolg wird die Notwendigkeit angesehen, den Lerngegenstand aus unterschiedlichen Perspektiven und Herangehensweisen zu betrachten. Weitere notwendige Bedingungen sind die fachliche Kompetenz der Lehrenden und die Fähigkeit der Lehrenden untereinander im Sinne des fächerübergreifenden Unterrichts zu kooperieren. Für den fächerübergreifenden Unterricht mit der Kombination „Sport und naturwissenschaftliches Unterrichtsfach“ wurden für die Jahre von 2000 bis 2019 im Fachportal Pädagogik insgesamt 14 Studien erfasst.[40]
Anders im Schach. Es gibt hunderte Studien, die den Einfluss von Schachunterricht auf den Lernerfolg in der Schule untersuchten. Trotz des Wissens um die Problematik der Durchführung wissenschaftlicher Studien über Einflüsse auf den Lernerfolg, herrscht weitgehender Konsens darüber, dass sich Schachunterricht positiv auf kognitive Fähigkeiten und die Leistungen in den Schulfächern auswirkt.[41]
Für die in 2022 veröffentlichte Studie über die „Verbesserung der kognitiven Fähigkeiten und schulischen Leistungen infolge des Schachunterrichts“[42] wurden hohe Anforderungen an die zu untersuchenden Studien gestellt. Drei Hauptkriterien wurden für das Untersuchungsdesign formuliert. 230 relevante wissenschaftliche Studien wurden in den Datenbanken identifiziert, wovon 45 Studien den drei Hauptkriterien genügten.
Es wird nicht bezweifelt, dass Schach positive Auswirkungen auf die Schulleistungen hat. Die Kritik an den untersuchten Schachstudien richtet sich darauf, dass diese sich zu sehr auf die Erfolgsmessung von weitem Transfer (far transfer) konzentrierten, die Stichprobenumfänge eher niedrig waren und eher kurzfristige als langfristige Auswirkungen untersucht wurden.[43] Auch die Untersuchungen im Bildungs- und Schulbereich, die keinen Bezug zu Schach aufweisen, stehen in der Kritik, weil sie eher die kurzfristigen Auswirkungen untersuchen. Watts et al.[44] sind der Meinung, dass fehlende Studien mit langfristigen Nachverfolgungen Schwierigkeiten für das Entwickeln gut wirkender Bildungsprogramme darstellen. Die Forscher bemängeln, dass derzeit Zusammenhänge zwischen kurzfristigen Ergebnissen und langfristigen Auswirkungen oft angenommen, aber selten mit experimentellen Methoden überprüft werden.
Blanch untersuchte die Ergebnisse von 45 ausgewählten Studien aus 19 Ländern (Argentinien, Australien, Bangladesch, Belgien, Kanada, Dänemark, Deutschland, Indien, Iran, Italien, Malaysia, Rumänien, Südafrika, Südkorea, Spanien, Türkei, Großbritannien, Uruguay und USA)[45]. Die beiden Länder Russland und Brasilien, die zu den aktivsten Ländern im Schulschach weltweit zählen, fanden keine Berücksichtigung. Auf dem in 2018 stattgefundenen internationalen Kongress zur psychischen Gesundheit des Menschen im 21. Jahrhundert, an dem Wissenschaftler u.a. aus Deutschland, USA, Großbritannien, Chile, Portugal, Malaysia, Indien teilnahmen, wurden die Ergebnisse einer Langzeitstudie zur Wirkung des Schachunterrichts auf die intellektuelle Entwicklung der Kinder über die Schullaufbahn hinweg veröffentlicht.[46] Die Studie untersuchte die Nahtransfereffekte. De Ergebnisse sind beeindruckend und werden im nächsten Abschnitt dargelegt.
4. Langanhaltende Leistungserfolge beim Lernen durch Schachspielen
„Ein Lernschritt kann hundert Entwicklungsschritte bedeuten.“ (Lev Vygotsky)[47]
In Russland wird das Unterrichtsfach „Schach“ als Chance gesehen, den Schülern optimale Möglichkeiten für ihre Entwicklung und schulischen Lernerfolg zu schaffen. Seit 2004 läuft eine Langzeitstudie über die Auswirkungen des Schachunterrichts auf die persönliche und schulische Entwicklung mit verschiedenen Schulen in der Stadt Satka (Oblast Tscheljabinsk). In 18 Jahren wurden 1571 Schüler in der Studie untersucht, wobei 723 Schüler nach dem Lehrprogramm „chess project“ unterrichtet wurden, welches auf Basis der Ideen des Psychologen Lev Vygotsky (Lew Wygotski), der Prinzipien des reflexiven Aktivitätsansatzes[48] und des russischen Bildungsziels „im Geiste zu handeln“[49] entwickelt wurde. „Im Geiste handeln“ bedeutet, in Gedanken verschiedene Möglichkeiten und Prozesse durchspielen und dabei prüfen was geschieht, wenn ein Schritt gemacht wird, welcher weiterer Schritt als Konsequenz folgen könnte und wie er sich auswirkt. Die Gestaltung des Schachunterrichts auf Basis der Prinzipien des reflexiven Aktivitätsansatzes soll die Schüler befähigen, die im Schachunterricht entwickelten Fähigkeiten bewusst auf andere Schulfächer und Aktivitäten zu übertragen. Dieser Transfer wirkt sich auf die allgemeine Entwicklung des Schülers aus, wirkt präventiv gegen Schulversagen und spiegelt sich in besseren schulischen Leistungen wieder.
Mit wissenschaftlicher Begleitung wurden Schachlehrbücher, Arbeitsbücher und ein Schachprogramm für das Schulprojekt. Die englische Version der Lehrmaterialien und erste Ergebnisse der Studie wurden 2017 in Quebec (Kanada) auf dem internationalen Kongress „Contemporary Russian Contributions to Vygotsky’s Heritage“, der von International Society for Cultural-Historical Activity Research (ISCAR) ausgerichtet wurde, einer breiten Öffentlichkeit vorgestellt.[50] In den Folgejahren wurden weitere Ergebnisse der Schachstudie der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Umfangreiche Informationen zu den ersten Phasen der aufwendigen Schulschach-Studie mit vielen zusätzlichen theoretischen Erläuterungen wurden 2022 publiziert.[51] In den ersten beiden Phasen wurden 637 Schüler untersucht, von denen 331 an dem genannten Schachprogramm teilnahmen.
Ergebnisse der ersten Phase 2004 – 2008 (Grundschulzeit)
Die Schüler mit Schachunterricht gemäß dem Lehrprogramm „Schach für die allgemeine Entwicklung“ (chess-project) machten größere Fortschritte als die Kinder aus den Kontrollgruppen. Sie zeigten ausgeprägtere Fähigkeiten für das Lernen nach Gehör, verbesserten ihr visuelles Gedächtnis, kamen besser mit Aufgaben des nonverbalen Denkens zurecht, wurden aufmerksamer, effizienter und konnten ihre Handlungen besser gedanklich planen, wie die verwendeten Tests zur Aufdeckung des inneren Handlungsplans zeigten. Die Ergebnisse für drei dieser Indikatoren stiegen im Laufe des Jahres stetig an, was sich in jeder Untersuchung zeigte: das akustische Gedächtnis, die verbale Intelligenz und der interne Handlungsplan. Für keinen der Indikatoren wurde eine negative Dynamik festgestellt. Keine der Vergleichsgruppen wies bei einem der Indikatoren einen derart auffälligen Trend auf.
Ergebnisse der zweiten Phase 2010 – 2013
Hier wurden zwei Aufgabenstellungen verfolgt:
Beobachtung der Entwicklungsdynamik von Kindern in einer gemischten Klasse, in der vier Kinder mit Entwicklungsstörungen waren. Alle werden gemeinsam nach dem Lehrprogramm „Schach für die allgemeine Entwicklung“ (chess-project) unterrichtet.
Prüfung, ob das hohe Entwicklungsniveau der kognitiven Funktionen bei Kindern erhalten bleibt, die in der Grundschule am Schachunterricht mit dem Programm „chess project“ teilnahmen, im Vergleich zu den Gruppen die am Programm „chess universal“[52] teilnahmen und die gar keinen Schachunterricht bekamen. Die untersuchten Neuntklässler haben seit 2004 am Schachprojekt und an psychologischen Untersuchungen teilgenommen.
Ergebnisse zu den beiden Aufgabenstellungen
Aus den Ergebnissen der Erhebung lässt sich schließen, dass die Zweitklässler in der Hauptgruppe eine positive Entwicklungsdynamik bei 5 Indikatoren aufweisen: Gedächtnis (auditiv und visuell), nonverbale Intelligenz, Arbeitsfähigkeit und die Fähigkeit, Handlungen im Kopf zu planen. In Bezug auf diese Indikatoren besteht ein statistisch signifikanter Unterschied zwischen der Erhebung vom Mai 2011 und der Erhebung von 2012.
Die Ergebnisse bei den Kindern mit Entwicklungsstörungen fielen unterschiedlich aus, wobei einige Indikatoren höhere Werte zeigten,
Der Vergleich der Ergebnisse der Hauptgruppe „chess project“ und der Gruppe „chess universal“ zeigte, dass die Hauptgruppe einen höheren Entwicklungsstand der nonverbalen Intelligenz und höhere Aufmerksamkeitswerte aufwies.
Über den angegebenen Zeitraum hat eine große Anzahl von Schülern, sowohl Schachschüler als auch Nicht-Schachschüler, ihr kognitives Entwicklungsniveau generell verbessert. Allerdings haben die Schüler der Hauptgruppe im Vergleich zu den Kontrollgruppen, in denen Schach mit anderen Methoden oder gar nicht unterrichtet wurde, ihre Ergebnisse bei einer Vielzahl von intellektuellen Indikatoren im Laufe der Jahre stetig verbessert.
Den Daten zufolge zeigen schachspielende Schüler mit unterschiedlichem intellektuellem Entwicklungsstand eine positive Dynamik in der Entwicklung der intellektuellen Fähigkeiten. Eine vergleichende Analyse der Indikatoren ergab ein hohes Maß an Effektivität des Schachunterrichts auf der Grundlage des reflexiv-aktivierenden Ansatzes verwendet.
Wie die Ergebnisse der dritten Phase (siehe unten) gezeigt haben, wirkte sich die positive Entwicklung der geistigen Fähigkeiten in der Primar- und Sekundarstufe positiv auf die Lernleistungen in verschiedenen Fächern aus.
Ergebnisse der dritten Phase 2014 – 2021
Die positive Wirkung des Schachunterrichts war noch größer als gedacht. Die Schüler wurden selbstbewusster, lernten, ihre Aufgaben selbstständig zu planen, konnten ihre Erfolge und Misserfolge reflektieren, ihre Einstellung zu Fehlern änderte sich und ihr persönliches Potenzial im Hinblick auf die Selbstwirksamkeit wurde gesteigert. In der Folge erreichten die Schüler gute schulische Ergebnisse. Die Zahl der Schulabsolventen, die Medaillen für besondere Lernleistungen erhielten, stieg.
Angesichts der positiven Ergebnisse in der dritten Phase wurden weitere Faktoren in die Untersuchung einbezogen, um mehr zu erfahren über Lernmotivationen, über das selbständige Bewältigen schwieriger Situationen, Schulangst u.a. Seit 2017 wird auch in dieser Richtung geforscht. Die Arbeit an der Analyse aller diagnostischen Ergebnisse geht weiter und wird in weiteren Publikationen vorgestellt werden.
5. Schach fördert Inklusion nachhaltig
Die besonderen Eigenschaften des Schachspiels machen das Spiel auch zum Zwecke der Therapie interessant. Seit einigen Jahren ist weltweit ein Trend zu beobachten, das Schachspiel in der Therapie einzusetzen, neue Therapieformen zu entwickeln und Heilungserfolge zu erzielen. Im Fokus bei der Behandlung mittels dem Schachspiel stehen Kinder, die unter bipolaren Störungen, Depressionen, ADHS und Verhaltensstörungen leiden.[53]
Die Zahl der Kinder, bei denen ADHS diagnostiziert wird, nimmt von Jahr zu Jahr zu. Wissenschaftliche Studien sehen einen Zusammenhang zwischen extensiver Benutzung des Smartphones/ des Internets und der Diagnose ADHS.[54] Aufmerksamkeitsstörungen wie ADHS wirken sich negativ auf die schulischen Leistungen aus. Die bei ADHS verordneten Medikamente belasten die Sozialsysteme finanziell und weisen unliebsame Nebenwirkungen auf. Wenn extensive Smartphone-Nutzung der Grund für ADHS ist, dann sollte Aussicht bestehen, die ADHS-Einschränkungen wenigstens deutlich zu lindern, weil Aufmerksamkeit trainiert werden kann. Regelmäßiges Schachtraining zur Verbesserung der Aufmerksamkeit reduziert die Probleme von ADHS, wie ein großer Studienvergleich ergab.[55] 2021 wurde die erste klinische Studie veröffentlicht, in der nachgewiesen wird, dass regelmäßiges Schachtraining als Therapie die kognitiven Leistungen von ADHS-Patienten deutlich verbesserte. Die Patienten berichten, dass ihre allgemeine Stimmung und die zwischenmenschlichen Beziehungen sich verbesserten.[56]
Deutsche Wissenschaftler waren eine der ersten weltweit, die 2008 eine Studie[57] vorstellten, die die Auswirkungen des Schachunterrichts in Klassen von Kindern mit Lernschwierigkeiten untersuchte. Ziel dieses vergleichenden Ansatzes war es, ob die besondere Lehrmethode des Schachspiels im Mathematikunterricht für Kinder mit Lernschwierigkeiten zu besseren Lernerfolgen führt. Das Schachspielen soll die Schüler zu einer verbesserten Aufmerksamkeit verhelfen und in der Folge zu höheren mathematischen Grundfertigkeiten bei den Kindern mit Lernbehinderungen führen. Die Versuchsgruppe tauschte eine Mathematikstunde gegen eine Schachstunde ein. Am Ende des Schuljahres wurden die Verbesserungen der Rechen- und Konzentrationsfähigkeiten der Kinder zwischen der Versuchsgruppe, die Schachunterricht anstelle einer Stunde regulären Mathematikunterrichts pro Woche erhielt, und einer Kontrollgruppe, die nur regulären Mathematikunterricht erhielt verglichen. Die Versuchsgruppe war bei der Verbesserung der mathematischen Grundfertigkeiten wie Zählen und Addieren eindeutig im Vorteil. Schach als Element des Mathematikunterrichts in Schulen für Kinder mit Lernschwierigkeiten kann eine wertvolle Lernhilfe sein.
Das Thema Inklusion ist auch in Deutschland angekommen. Ziel ist es, Menschen mit Behinderung eine gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft zu ermöglichen. Kinder mit geistiger Behinderung auf ein selbstbestimmtes Leben vorzubereiten ist eine äußerst schwierige Aufgabe. Wie kann man ihnen den Weg zu einem Beruf ebnen, mit dem sie ihren eigenen Lebensunterhalt verdienen können? Auch hier gibt es beeindruckende Ergebnisse, wie Schach scheinbar fest vorgezeichnete Lebenswege komplett verändert und Träume wahr werden lässt:
2022 sorgte ein deutscher Behinderter für fantastische Schlagzeilen:
„Und dann wird Jarno Scheffner Weltmeister
Er gilt als „geistig behindert“. Aber als er mit elf Jahren anfängt, Schach zu spielen, verändert das sein ganzes Leben.“
(11.08.2022, Zeit online)[58]
Zur Person Jarno Scheffner: Er hat einen IQ von 59 und geht auf eine Förderschule für geistig Behinderte. Ein Lehrer bringt ihm das Schachspiel bei und er liebt dieses Spiel. Heute arbeitet er als Gärtner.
Und die andere gute Nachricht ist, dass offenbar mit systematischen Schachtraining Kindern mit Entwicklungsstörungen geholfen werden kann. Das Schachprojekt in der russischen Stadt Satka (Oblast Tscheljabinsk) macht Hoffnung (siehe vorhergehenden Abschnitt).
Die ebenfalls in 2022 publizierte Schachstudie von Sidorenko[59] ist ein weiteres Beispiel für die Mächtigkeit des Lerninstruments Schach in Verbindung mit dem reflexiven Aktivitätsansatz. In 10 Monaten Schachunterricht und mit anderen Rehabilitationsmaßnahmen hat ein 30-jähriger Mann einen erstaunlichen Weg zurückgelegt. Zu Beginn führte der Mann das Leben eines gewöhnlichen Bewohners eines psychoneurologischen Internats und war als rechtlich geschäftsunfähig eingestuft Er nahm Medikamente, ohne Aussicht auf Verbesserung seines Zustandes, war ohne Zukunftsperspektive. Nach 10 Monaten Schachtraining ist er bereits ein anderer Mensch: Er lebt mit seiner Familie statt im Internat, kommt ohne Medikamente aus, arbeitet, schmiedet berufliche Pläne und will heiraten. Das Hauptziel – die Wiederherstellung der Geschäftsfähigkeit – wurde erreicht. Dieser Einzelfall zeigt, dass das in Satka entwickelte Schachlehrprogramm mit Unterstützung von Psychologen auch behinderten Menschen den Weg in ein selbstbestimmtes Leben ermöglichen kann.
6. Warum Schach sich positiv auf Mathematik und die MINT-Fächer auswirkt
Die immer schlechter werdenden Lernergebnisse deutscher Schüler verlangen ein Gegensteuern. Es stellt sich die Frage, ob man neuartige Konzepte erfinden muss oder ab man auf schon vorhandene Konzepte, die wissenschaftlich gestützt werden, zurückgreift.
Aus philosophischer Perspektive kann Schach als Mathematik betrachtet werden: „Schach ist Mathematik, weil es rein relational ist: Schachfiguren haben keine anderen Funktionen als die, die sie im Spiel erfüllen (ihre Form erinnert lediglich daran, um welche Figur es sich handelt). Schach wird normalerweise nicht als ernsthafte Mathematik angesehen, weil die Regeln willkürlich gewählt werden (und weil die Frage, was eine gute Strategie im menschlichen Schach ausmacht, von einer äußeren, kontingenten Tatsache abhängt, nämlich der Intelligenz der Spieler). Aber die Existenz einer Springertour über das gesamte Schachbrett, die Lösbarkeit von in Zeitungen veröffentlichten Schachaufgaben mit einer bestimmten Konfiguration und der Anweisung „Schwarz setzt in zwei Zügen matt“ und die Fähigkeiten von AlphaZero[60], Schach auf übermenschlichem Niveau zu spielen, sind allesamt reine Mathematik.“[61]
Soweit die Theorie. Doch was passiert während einer Schachpartie im Gehirn des Menschen? Je mehr man sich mit den Prozessen, die während der Schachpartie ablaufen, beschäftigt, umso mehr Faktoren erkennt man, die auch für den Lernerfolg in der Schule vorteilhaft sind. Das Trainieren der Mustererkennung und der Einfluss regelmäßigen Schachtrainings auf die Persönlichkeitsentwicklung scheinen die stärksten Faktoren zu sein. Sie sind auch die Faktoren, die am schwierigsten zu messen sind. Es werden einige Prozesse, die während einer Schachpartie stattfinden, genauer betrachtet.
Die Hirnforschung fand heraus, dass das menschliche Gehirn Bilder 60.000-mal schneller als Text verarbeitet. 90 Prozent aller Informationen, die an unser Gehirn übermittelt werden, sind visuell. Wie oben dargelegt wurde, kann Mathematik als die Wissenschaft von Mustern aufgefasst werden. Um erfolgreich in Mustererkennung zu sein, braucht das Gehirn eine riesige Bibliothek an Bildern und Mustern, die mit zusätzlichen Informationen wie Erfahrung, Nützlichkeit und Verknüpfungen zu anderen Bibliotheksinhalten versehen sind.
Schach bietet gute Voraussetzungen, um das Gehirn spielerisch in Mustererkennung zu trainieren. Das Schachspiel ist sehr komplex. Bei jedem Zug muss eine enorme Menge an Informationen verarbeitet werden. Bei der Vorausberechnung von mehreren Zügen müssen unterschiedliche Bewegungsmuster der Schachfiguren verarbeitet werden. Schachspieler entwickeln Fähigkeiten, um mit der Informationsflut zurechtzukommen, mit den Ressourcen des Gehirns ökonomisch umzugehen. Im Mittelpunkt steht die effiziente Auswahl an Schachzügen, die es wert sind, genauer analysiert zu werden. Der Schachspieler muss unablässig Informationen aufnehmen, filtern, sortieren, verarbeiten, bewerten und entscheiden. Bei Schachpartien von Mensch zu Mensch können zusätzliche Informationen zur Bewertung des Schachzuges aus dem Verhalten des Gegners gewonnen werden: Schwitzen, Gesten, Nervosität, Körperhaltung.
Nach dem Schachspiel folgt die gemeinsame Analyse, in der letztlich die zuvor getroffenen Entscheidungen in der Partie überprüft und bewertet werden. Bei der Analyse legen die beteiligten Personen ihre Gedankengänge, ihre Vorgehensweise zur Zugauswahl und Zugbewertung offen. Es werden zusätzlich die Sprachkompetenzen trainiert, sich treffsicher und verständlich auszudrücken, vorgebrachte Argumente zu verstehen, zu bewerten und zu übernehmen. Aus groben Fehlern wird schneller gelernt, weil typische Muster schneller wiedererkannt und demzufolge leichter vermieden werden können. Im gemeinsamen Spiel und der gemeinsamen Analyse erwerben die Kinder Kompetenzen in Teamfähigkeit, also anderen aufmerksam zuhören, das Gesagte reflektieren, sich aktiv in den Meinungsbildungsprozess einbringen, respektvoll miteinander umgehen. Bei der gemeinsamen Analyse kommt es immer wieder vor, dass Züge zum Partiegewinn vorgeschlagen werden, die sich offensichtlich als Fehler entpuppen, weil übersehen wurde, dass der Gegner einfach Schachfiguren gewinnt und später die Partie, die Drohung nicht fürchten muss, die vorgeschlagene Kombination fehlerhaft ist. Das passiert auch erfahrenen Schachspielern. Weil diese Fehler jedem irgendwann einmal unterlaufen kann, möchte keiner, dass er deshalb schlecht behandelt wird. So lernt man in der Gruppe, respektvoll miteinander umzugehen.
Dass Schachspieler Strategien zur effizienten Informationsverarbeitung und Mustererkennung entwickeln müssen, machen folgende Zahlen deutlich: In der Grundstellung muss sich Weiß zwischen 20 möglichen Zügen (16 Bauernzüge und 4 Springerzüge) entscheiden. Nach dem ersten Zug von Weiß stehen Schwarz ebenfalls 20 mögliche Züge (16 Bauernzüge und 4 Springerzüge) zur Verfügung, denn seine Figuren befinden sich noch in der Grundstellung. Es gibt 20 x 20 = 400 verschiedene Schachstellungen nach zwei Zügen (erster Zug für Weiß, gefolgt vom ersten Zug für Schwarz). Es gibt 5.362 verschiedene Schachstellungen nach drei Zügen (zweiter Zug von Weiß). Es gibt 71.852 verschiedene Schachstellungen nach vier Zügen (zwei Züge für Weiß und zwei Züge für Schwarz). Nach 5 Zügen sind es schon 809.896 verschiedene Stellungen und nach 6 Zügen (drei Züge für Weiß und drei Züge für Schwarz) sind es schon 9.132.484 verschiedene Stellungen.
Die Aufmerksamkeitsspanne bei Kindern sank in den letzten Jahren als Folge intensiver Smartphone- und Internetnutzung rapide. „Allein die räumliche Anwesenheit unseres eigenen Smartphone – mit allen seinen fantastischen Optionen der Ablenkung – führt zu einer Schwächung unserer kognitiven Leistungsfähigkeit.“[62] Die Kinder lernen beim Schachspiel sich auf die Ereignisse auf dem Schachbrett zu konzentrieren. Als ein Grund kann der kompetitive Charakter des Schachspiels gesehen werden, weil die Kinder besser werden wollen. Ein anderer Grund ist das Erleben von Erfolg, d.h., ich passe im Schachunterricht auf, dann mache ich weniger Fehler im eigenen Spiel und gewinne mehr Partien. „Aufmerksamkeit stellt in der heutigen Informationsgesellschaft eine wichtige persönliche Ressource dar und ist entscheidend für persönliche Leistungsfähigkeit, Motivation und Problemlösungsfähigkeit und zwar in allen Altersstufen.“[63] Der kompetitive Charakter des Schachspiels weckt in den Kindern den Ehrgeiz, besser zu werden, als die anderen, d.h., sie sind motiviert zu lernen.
Studien zum Einfluss des Schachunterrichts auf die Mathematik stellen einen positiven Zusammenhang zur Arithmetik fest. Die schachspielenden Kinder lernen, dass die Figuren unterschiedliche Wertigkeiten haben und dass eine Leichtfigur (Springer oder Läufer) dem Wert von drei Bauern entspricht. Die Kinder lernen in der figürlichen Schachumgebung Grundrechenaufgaben und typische mathematische Sachverhalte wie Substitution, Verhältnis und Äquivalent. Die Kinder begreifen schnell, dass ein Turm im Wert zwei Leichtfiguren entspricht, dass dann eine Leichtfigur mit drei Bauern dem Turm gleichwertig sind, zumindest mathematisch gesehen.
Rechenbeispiele mit Schachfiguren:
Der Gedankenprozess für die quantitative Bewertung der auf dem Schachbrett befindlichen Figuren bereitet die Kinder auf das Rechnen mit Variablen und das Lösen von Aufgaben mit mehreren Unbekannten vor, weil die Kinder mittels dem Schachspiel schon erste Erfahrungen mit diesen Mustern und Denkweisen sammelten.
Wenn die Kinder anfangen Schach zu lernen. wird zuerst das Schachbrett und die Orientierung darauf ausführlich erklärt. Sie erfahren, dass jedes Feld einen Namen hat, der sich aus einem Buchstaben von A bis H und einer Zahl von 1 bis 8 zusammensetzt, was die Koordinaten des Schachfeldes sind. Und diese Form der Identifizierung von Feldern und der Orientierung auf dem Schachbrett erleichtern das Lesen von Landkarten, Diagrammen und Kurvenverläufen. Es dürfte immer weniger Kinder geben, die schon einen Stadtplan oder eine Landkarte in der Hand hielten. Das bequeme Navigationsgerät im Auto oder im Handy verdrängte die Landkarte. Im Navigationsgerät gibt man den gesuchten Ort ein und schon blinkt an einer Stelle auf dem Bildschirm ein Kreis.
Der Schachspieler muss eine Unmenge an visuellen Informationen auf dem Schachbrett verarbeiten und daraus sein konkretes Handeln, den nächsten Schachzug auszuführen, ableiten. Es gilt zu erkennen, ob eine Figur geschlagen werden kann und ob man dafür einen Gegenwert erhält, welche konkreten Drohungen vorhanden sind oder der Gegner plant und inwieweit diese mit den eigenen Plänen kollidieren. Und schließlich muss er in der erfassten Situation den besten Zug auswählen, sich entscheiden, den einen Zug auszuführen. Dazu muss er vor dem geistigen Auge mögliche Zugfolgen ablaufen lassen und die dann jeweils entstehenden Partiestellungen bewerten. Bei den Zugabläufen müssen unterschiedliche Bewegungsmuster der eigenen und der gegnerischen Figuren berücksichtigt und zusammengefügt werden. Zur Bewertung greifen erfahrene Schachspieler auf Erfahrungen und bekannte Stellungsmuster zurück, die im Gehirn abgespeichert sind.
Schachfiguren „Flamenco“, gefertigt aus Hufnägeln, Schraubenteilen und Gabeln
Das Taktiktraining, also das Lösungen von Schachaufgaben wie „Matt in einem Zug“ oder „Matt in zwei Zügen“ oder „Weiß am Zug gewinnt“ trainiert das Sehen. Das Gehirn prägt sich Stellungsmuster und dazugehörige Gewinnverfahren ein. Je mehr Taktikaufgaben gelöst werden, umso eher ist der Spieler in der Lage, zugrundeliegende Muster (Gabel, Doppelangriff, schwache Grundreihe, …) zu erkennen, zu abstrahieren und in eigenen Partien anzuwenden. Die auf dem Schachbrett entstandene Stellung wird mit den im Gehirn abgespeicherten Gewinnstellungen und Gewinnmusterverfahren verglichen, um zu bewerten, ob beispielsweise die Voraussetzungen für einen erfolgreichen Mattangriff vorhanden sind und ob das bekannte Gewinnverfahren direkt oder in abgewandelter Form angerwendet werden kann. Die Stellungstransformation wie den Übergang vom Mittelspiel in ein leicht zu gewinnendes Endspiel baut auf ein tiefer gehendes Verständnis der Schachstellung. Es geht im Schach letztlich immer wieder um Mustererkennung. Die Erfahrung zeigt, dass beispielsweise freie Linien, Freibauern, gedeckter Freibauer, Raumvorteil gute Voraussetzungen für die siegreiche Gestaltung der Schachpartie sind. Bei der Entscheidung über den nächsten Zug, muss der Spieler vor seinem geistigen Auge Pläne, also gewünschte Schachstellungen, entwickeln, die er erreichen will. Dazu muss er verschiedene Zugabläufe prüfen, also unterschiedliche Bewegungsmuster der Figuren, sowohl der eigenen als auch der gegnerischen, im Zeitablauf koordinieren und bewerten.
Die Redewendung „Viele Wege führen nach Rom“ hat auch in den Naturwissenschaften und im Schach ihre Berechtigung. Die im Spielverlauf entstehenden Schachstellungen können oft auch mit einer anderen Reihenfolge von Schachzügen erreicht werden.
Beispiel (s. Schachdiagramm):
Statt in einem Endspiel (König, Turm und Bauer gegen König) den gegnerischen König mit den vereinten Kräften von König und Turm mattzusetzen, kann zunächst der Bauer in eine andere Figur umgewandelt werden und beide Figuren setzen gemeinsam den gegnerischen König matt.
Es leuchtet prinzipiell ein, dass es leichter ist, mit Dame und Turm zusammen mattzusetzen. Eine Garantie für den Sieg ist es dennoch nicht. Vor allem Anfänger übersehen das Patt-Motiv, d.h., der gegnerische König steht nicht im Schach und hat auch keine Möglichkeit, einen legalen Zug auszuführen. Bei Patt endet die Partie unentschieden, die stärkere Partei hat einen halben Punkt an den Gegner verschenkt. Um nicht in eine Pattfalle zu laufen, muss jeder Schachzug vor dem Ausführen gewissenhaft kontrolliert werden, d.h. die Lage auf dem Schachbrett wird analysiert, um Pattmöglichkeiten rechtzeitig zu erkennen und aus dem Weg zu gehen. Im obigen Beispiel führt das Erkennen des Musters „Treppenmatt“ zum schnellen Erfolg. Bei konsequenter Umsetzung des Gewinnverfahrens Treppenmatt gibt es auch keine Gefahr, dass der Schwarze wegen Patt einen halben Punkt „geschenkt“ bekommt. In Zeitnotphasen der Schachpartie können vermeintlich umständliche Gewinnwege sinnvoll sein, weil der Spieler die Züge routiniert und damit ohne Zeitverlust für zusätzliche Überlegungen und Kontrollen ausführt.
Und diese Erfahrung, aus mehreren zum Ziel führenden Lösungswegen auszusuchen, wird im Schulunterricht oft genug verhindert. Es gibt Mathematiklehrer, die nur einen Lösungsweg als richtig anerkennen und zwar den, den er im Unterricht erklärt hat. Schüler werden in diesem Fällen ausgebremst, Kreativität wird eingeschränkt, Unlust macht sich breit. Die vom Lehrer vorgeführte Methode, wie die Aufgabe gelöst wird, muss nicht die schnellste, einfachste oder für den Schüler verständlichste Methode sein. Es wird erinnert, dass es unzählige Rechenverfahren gibt, wie man mehrstellige Zahlen miteinander addiert oder multipliziert.[64]
Das Anbieten und Erlauben unterschiedlicher Rechenwege zum Lösen der Aufgaben in Mathematik und in den anderen Naturwissenschaften lädt die Schüler zum Mitmachen und Nachdenken ein. Ist der Dreisatz wirklich ein einfaches und verständliches Rechenverfahren? Oder ist ein anderes Rechenverfahren wie die Relationsgleichung mit Darstellung in Bruchschreibweise universeller, einfache und verständlicher? Welche Methode eignet sich für das Rechnen im Kopf besser? (vgl. Anhang B)
Bei den Schach-Anfängern ist zu beobachten, dass zunächst Wunschdenken vorherrscht. Es wird gehofft, dass der Gegner den offensichtlich schlechtesten Zug macht, der zum Partieverlust führt. Dieses Hoffen auf den glücklichen Umstand, dass der Gegner einen groben Schnitzer macht, weicht mit zunehmender Spielerfahrung der Erkenntnis, dass die eigene Zugauswahl auf analytischen Erwägungen erfolgreicher ist. Es wird immer stärker bewusst nach den besten Zügen für beide Seiten Ausschau gehalten. Mit anderen Worten, man muss zu sich ehrlich sein und selbstkritisch denken, wenn man die Schachpartie siegreich gestalten will. Dabei bringt man dem Gegner innerlich Respekt entgegen. intuitiv macht sich der Spieler mit dem dialektischen Prinzip „Ursache und Wirkung“ vertraut, wenn er im Geiste die Zugmöglichkeiten durchgeht und abwägt, welcher Schachzug ihm den größten Nutzen bringen könnte. Die eben beschriebenen Einsichten helfen den Kindern, die oben erwähnte Aufgabe zur Wahrscheinlichkeitsrechnung (verschiedenfarbige Kugeln in einer Kiste) besser zu erfassen und selbständig die richtige Lösung zu finden.
Neben dem selbstkritischen Denken lernen die Kinder, Verantwortung zu übernehmen. Egal wie die Partie endet, der Spieler trägt die Verantwortung für den Erfolg oder Misserfolg. Es gibt keine Ausreden wie:
der Gegner war wegen Rückenwindunterstützung im Vorteil,
der Boden war matschig
hatte keine Möglichkeit einzugreifen (im Fußball oder Handball: weil ihm der Ball nicht zugespielt wurde)
weil der Gegner ihn foulte
Die Kinder, die Schach lernen, erleben, dass Aufmerksamkeit und zusätzliches Beschäftigen mit Schach zu mehr siegreichen Partien führen. Sie werden für ihren Fleiß mit Erfolgserlebnissen belohnt. Das stärkt das Selbstvertrauen in die eigenen Fähigkeiten und führt zu positiven Veränderungen bei der Einstellung zum Lernen. Schach fördert die Lernmotivation.
Erfahrene Schachtrainer wissen, dass auf dem realen Schachbrett nachgespielte Partien sich besser gemerkt werden als die am Computer nachgespielten Partien. Die eigene Aktivität – das Ziehen der Schachfigur auf dem Schachbrett – ist beim genauen Hinsehen ein komplexer Prozess, vergleichbar mit dem des Schreibens.
Es gibt neben dem klassischen Schach noch viele andere Arten des Schachspielens, die Kindern viel Freude bereiten – wie Schlagschach oder Tandem-Schach. Beim Tandem-Schach, spielen zwei Teams, bestehend aus 2 Spielern, an 2 Schachbrettern. Die beiden Spieler eines Teams spielen mit entgegengesetzten Farben. Jeder Spieler spielt an seinem Brett gegen einen direkten Brettgegner. Die Besonderheit besteht darin, dass die geschlagene Figur an den Teampartner weitergegeben wird, der diese dann entsprechend zuvor vereinbarter Regeln auf dem Schachbrett einsetzen darf. Ein Team hat gewonnen, wenn ein Spieler den Gegner auf seinem Brett mattgesetzt hat. Um erfolgreich zu sein, müssen die Spieler im Team eine gemeinsame Strategie aushandeln und umsetzen. Die gewählte Strategie muss regelmäßig an das tatsächliche Spielgeschehen auf den beiden Schachbrettern angepasst werden, d.h. man muss flexibel reagieren, Kompromisse mit sich und seinem Partner eingehen und als Team harmonisch agieren. Zeit wird eine zusätzliche Dimension, denn ein Abwarten bei einer Partie, bedeutet, dem gegnerischen Team keine Figuren aus einem Abtausch (Schlagen von Figuren) zu liefern, die dann zum Angriff oder Verteidigung eingesetzt werden können.
Auch wenn nicht alle Auswirkungen des Schachs auf Persönlichkeitsmerkmale und Lernerfolg hier beschrieben und erwähnt wurden, so hilft diese Darstellung zu erahnen und zu erfassen, welch gewaltiges lerndidaktisches Instrument das Schachspiel ist.
Mit diesem Wissen versteht man besser, warum sich mehr schachspielende Kinder als nicht schachspielende Kinder für MINT-Berufe interessieren.[65] Eine Auswahl wissenschaftlicher Studien, wie sich Schachunterricht auf Mathematik, Deutsch und verschiedene Persönlichkeitsmerkmale auswirkt, sind im Anhang A angegeben.
In der Broschüre „Schach ein Tool für Bildung und Gesundheit“ (Link) werden noch mehr Auswirkungen des Schachs auf die Persönlichkeitsentwicklung genannt. Die Broschüre gibt es in verschiedenen Sprachen.
Es gibt unzählige Ideen und wissenschaftliche Studien, wie Schach im Schulunterricht und in verschiedenen Fächern außerhalb der Mathematikstunde eingesetzt werden kann. Eine Übersicht gibt es im Internet Link.
Wie in den Studien immer wieder nachgelesen werden kann, bereitet das Schachspiel den Kindern viel Freude. Schach ist nicht nur ernst, sondern auch heiter. Seit jeher gab es Künstler, Dichter und Schriftsteller, die sich mit Schach auseinandersetzen. Es entstanden humorvolle Gedichte, Romane, Filme, Comics, Cartoons und Bilder.
7. Mit dem lerndidaktischen Spiel „Schach“ kostengünstig zu mehr Lernerfolg in der Schule
Schach ist eine kostengünstige und effektive Ressource zur Aktivierung der geistigen Aktivität. Schulen mit Schachspielen auszustatten ist nicht sehr teuer. Bei sorgsamen Umgang mit den Schachbrettern und Schachfiguren besteht für lange Zeit kein Ersatzbedarf. Großfeldschach auf dem Schulhof bietet in den Pausen eine sinnvolle Beschäftigung, fördert die Kommunikation zwischen den Schülern und sorgt für Entspannung. Lehrer und Horterzieher berichten, dass Schach aggressives Verhalten einschränkt.
Die positive Wirkung von Schach auf die schulischen Leistungen bringt der Gesellschaft Vorteile. Der monetäre Wert wurde erstmals 2021 in Dänemark berechnet. „DAMVAD Analytics“, ein dänisches Beratungsunternehmen für fortschrittliche Analysen und Künstliche Intelligenz errechnete einen volkswirtschaftlichen Nutzen in Höhe von ca. 134 Millionen Euro in fünf Jahren[66], wenn alle Kinder regelmäßig Schachunterricht haben. Der sozioökonomische Gewinn resultiert aus den oben beschriebenen positiven Auswirkungen des Schachspiels auf die Persönlichkeitsentwicklung und den Lernerfolg. Bessere Leistungen im Mathematikunterricht geht mit weniger Schulabbrüchen, weniger Straffälligkeiten, besseren Berufsaussichten und in der Folge höheres Einkommen einher. Eingesparte Aufwendungen im Gesundheitsbereich sind schwerer zu quantifizieren.
In die Betrachtung wurde die Entwicklung und Verwendung von Lern-Hilfsmitteln nicht einbezogen. Wie ökonomisch ist es, für die vielen bekannten Lernprobleme individuelle Hilfsmittel (lerndidaktische Spiele, Arbeitshefte, Therapien, …) zu entwickeln? Solche sinnvollen Hilfsmittel, die oft für bestimmte Lernprobleme entwickelt werden, sollten folgenden Anforderungen genügen:
einfach genug, um ohne neue Hürden aufzubauen, die Hilfsmittel nutzen zu können,
leicht verfügbar, um sie überall anwenden zu können,
einfach in der Handhabung, dass unterschiedliche Personen damit arbeiten können (Nicht nur ausgebildete Fachkräfte, sondern auch Eltern, Kinder, Trainer können die Rolle des Therapeuten übernehmen.)
große Erfolgsaussichten, die gewollten Lernziele zu erreichen (was für jedes Hilfsmittel analog zu neuen Medizinprodukten erst in aufwendigen Studien nachgewiesen werden müsste)
Hilfsmittel soll den Lernenden nicht stigmatisieren, weil er eine „Sonderbehandlung“ mittels speziellen Hilfsmitteln erhält. Das kann sich negativ auf das Selbstbild, Motivation und Lernergebnis auswirken, abgesehen von möglichen psychischen Problemen, weil er sich „abgestempelt“, als ein vielleicht minderwertiger Mensch fühlt.
Die Verwendung der Hilfsmittel macht Freude, weil sich das positiv auf die Motivation auswirkt, das Hilfsmittel wiederholt und selbständig zu verwenden
Kostengünstig, um vielen helfen zu können
Zusammenfassend kann festgestellt werden: Schach ist kein Wundermittel, dass alle Probleme lösen wird. Schach ist vielmehr ein mächtiges, universell wirkendes lerndidaktisches Instrument, was erstaunliche Ergebnisse für breite Schülergruppen bewirken kann. Die Pädagogen müssen keine hervorragenden Schachspieler sein, um Schach im Unterricht einzusetzen. Das spielerische Element vom Schach steht im Vordergrund. Die Pädagogen leiten die Kinder durch die Schachstunde. Es gibt weltweit eine Unmenge an Schachliteratur, die bei der Unterrichtsplanung und –umsetzung direkt verwendet werden kann. Schachprogramme können ebenfalls eingesetzt werden. Sie erklären anschaulich und kindgerecht die Schachregeln und bieten unterhaltsame Übungen an. Die Kinder können selbstständig in ihrem Tempo das Schachspiel erlernen. In jeder Unterrichtstunde sollten die Kinder miteinander Schach spielen. Dabei können sie das Gelernte ausprobieren und anwenden. Wichtig ist, dass die Kinder sich auf die Schachunterrichtsstunde freuen. Dann werden sich über die Zeit positive Effekte einstellen, die die Wissenschaftler in vielen Studien nachgewiesen haben.
Die Argumente für die Aufnahme des Schachspiels in die Lehrpläne der Schulen beruhen in der Regel auf den Vorteilen für die Verbesserung der mathematischen Fähigkeiten. Aber das ist nicht der einzige Vorteil von Schach. Das Schachspiel ist ein Paradebeispiel für eine interdisziplinäre Tätigkeit. Der Schachunterricht an deutschen Schulen würde die Kinder dazu erziehen, die Zusammenhänge mit allen anderen Schulfächern zu erkennen. Es würde sie herausfordern, ihren Verstand – und ja, auch ihren Körper – einzusetzen, um zu lernen, sich zu messen und Spaß zu haben. (in Anlehnung an Prof. Michael Hickson, Universität Trent, Kanada)[67]
weitere Informationen zu den Vorteilen von Schach in der Schule:
Schach – die Schatzkiste der Bildungspolitiker (update zum Beitrag vom 05.02.2022) – Link
Schulschach ist eine enorme sozioökonomische Ressource mit immensen finanziellen Vorteil für die Gesellschaft (05.02.2022) – Link
Zusammenhang zwischen Arbeitsgedächtnis, Lernerfolg und Schach – der Weg zu mehr Lernerfolg – Link
Möglichkeiten, Schach in der Arbeit des pädagogischen Psychologen im Bereich der Bildung einzusetzen – Link
Jerry Nash: „Schach kann die Beziehung zwischen Schülern und Lehrern verbessern“ – Link zu chessbase.de
Lesenswerte Details zu Antworten auf den Brandbrief 2017, der Mathematikdefizite von Studienanfängern beklagte (mit Aufgabenbeispielen, 2018) – Link
[1] Benjamin Franklin (1706 1790) – amerikanischer Schriftsteller, Naturwissenschaftler und Staatsmann
[2] Kollosche, D. (2018). Soziale Dimensionen der Wahrnehmung von Mathematik durch Schüler. In: Nickel, G., Helmerich, M., Krömer, R., Lengnink, K., Rathgeb, M. (eds) Mathematik und Gesellschaft. Springer Spektrum, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-16123-1_22
[10] Hafner, T. (2012). Proportionalität und Prozentrechnung in der Sekundarstufe I. Empirische Untersuchung und didaktische Analysen (Dissertation). Wiesbaden: Vieweg+Teubner
[11] Gudladt, P. (2021). Didaktische Überlegungen. In: Inhaltliche Zugänge zu Anteilsvergleichen im Kontext des Prozentbegriffs. Perspektiven der Mathematikdidaktik. Springer Spektrum, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-32447-6_2
[16] Schulze, Sarah & Kuhl, Jan. (2018). Integration von Arbeitsgedächtnistrainings in die mathematische Lernförderung. Lernen und Lernstörungen 8 (1)Link
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[21] Richard Feynman (1918-1988) – amerikanischer Physiker und Nobelpreisträger
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[42] Blanch, A. Chess Instruction Improves Cognitive Abilities and Academic Performance: Real Effects or Wishful Thinking?. Educ Psychol Rev 34, 1371–1398 (2022). https://doi.org/10.1007/s10648-022-09670-9
[44] Tyler W. Watts, Drew H. Bailey & Chen Li (2019) Aiming Further: Addressing the Need for High-Quality Longitudinal Research in Education, Journal of Research on Educational Effectiveness, 12:4, 648-658, https://doi.org/10.1080/19345747.2019.1644692
[47]In Englisch: „One step in learning may mean one hundred steps in development.“ Und in Russisch: „Один шаг в обучении может означать сто шагов в развитии.“
[48] Zaretskiy V. K., Glukhova O. V. “ The reflexive activity approach to teaching chess at school: Satka experience“ II International Conference on Consultative Psychology and Psychotherapy dedicated to the memory of F.E. Vasilyuk: collection, no. 1, 2020, pp. 100-104. https://doi.org/10.24411/9999-055A-2020-00023
[49] in Englisch „abiltiy to act in the mind“ und in Russisch „способность действовать в уме“, weitere Informationen:
[50] Barma, S. & Zaretskii, Z. K. (2017), Contemporary Russian Contributions to Vygotsky’s Heritage. Special Issue. CRI_SAS International Journal/Revue internationale du CRIRES: innover dans la tradition de Vygotsky, 4(1). ISSN:2291–6717, URL: https://revues.ulaval.ca/ojs/index.php/RIC/issue/view/22
[51] Glukhova O.V., Volikova S.V., Zaretsky Y.V., Zaretsky V.K. The Results of a Longitudinal Diagnostic Study on the Project «Chess for Overall Development». Konsul’tativnaya psikhologiya i psikhoterapiya = Counseling Psychology and Psychotherapy, 2022. Vol. 30, no. 4, pp. 49–75. URL: https://doi.org/10.17759/cpp.2022300404 . (In Russ., аbstr. in Engl.)
[52] „chess universal“ wurde von Igor Sukhin entwickelt. Er arbeitet in leitender Funktion am Institut der Strategie der Bildungsentwicklung der Russischen Akademie der Wissenschaften in Moskau.
[54] Panagiotidi, M., Overton, P. Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssymptome sagen eine problematische Mobiltelefonnutzung voraus. Curr Psychol 41 , 2765–2771 (2022). https://doi.org/10.1007/s12144-020-00785-2
[55] Veloso A, Vicente SG and Filipe MG (2020) Effectiveness of Cognitive Training for School-Aged Children and Adolescents With Attention Deficit/Hyperactivity Disorder: A Systematic Review. Front. Psychol. 10:2983. URL: https://doi.org/10.3389/fpsyg.2019.02983
[56] Yanguas, María Rodrigo. Efectividad de una aplicación informática personalizada basada en el ajedrez para el tratamiento de niños y adolescentes con trastorno de déficit de atención con hiperactividad (TDAH): Un ensayo clínico. Diss. Universidad Autónoma de Madrid, 2021.
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[60] AlphaZero ist ein autodidaktisches Computerprogramm von DeepMind, dessen Algorithmus mehrere komplexe Brettspiele einzig anhand der Spielregeln und Siegbedingungen sowie durch intensives Spielen gegen sich selbst erlernt. (Wikipedia)
[61] Franklin, James. „Mathematics as a science of non-abstract reality: Aristotelian realist philosophies of mathematics.“ Foundations of Science 27.2 (2022): 327-344, URL: https://philpapers.org/archive/FRAMAA-12.pdf
[63] John, D.T., Wieland, U., Blickhan, D. (2019). Achtsamkeitsinterventionen in der Schule. In: Chang-Gusko, YS., Heße-Husain, J., Cassens, M., Meßtorff, C. (eds) Achtsamkeit in Arbeitswelten. FOM-Edition. Springer Gabler, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-25673-9_11
[64] Miller, Maximilian „Rechenvorteile“. BSB B.G. Teubner Verlagsgesellschaft Leipzig. (1963)
Anhang A Übersicht wissenschaftlicher Arbeiten zu Schach in der Schule
Tabellen in Anlehnung an: Ortiz-Pulido, Ricardo, et al. „Neuroscientific evidence support that chess improves academic performance in school.“ Revista mexicana de neurociencia 20.4 (2019): 194-199. URL: https://www.medigraphic.com/pdfs/revmexneu/rmn-2019/rmn194e.pdf
Tabelle 1
Einige Studien, in denen festgestellt wurde, dass Schach die mathematischen Leistungen in der Schule beeinflusst
Autor(en)
Land
N
Studienziel
Tests
Ergebnisse
Fernandez-Amigo et al.
T1
(Jahr 2008)
Spanien
N = 141 Versuchsgruppe (79 Jungen, 62 Mädchen)
Qualitative und quantitative Analyse des Nutzens von schachbasierten Unterrichtsmaterialien für den Mathematikunterricht in der zweiten Klasse der Grundschule
EFAI (Factorial Evaluation of Intellectual Aptitudes) Numerische Punktzahl, Punktzahl für logisches Denken, ethnographisches Interview, Umfragen
Zufriedenheit mit dem Einsatz des schachbasierten Lernmaterials für den Mathematikunterricht
Achig und Francisco
T2
(Jahr 2015)
Ecuador
N = 35 Versuchsgruppe (20 Jungen, 15 Mädchen)
Prüfung der Auswirkungen des Schachspiels auf das logisch-mathematische Denken von Schülern der sechsten Klasse
Theoretischer Schachtest vorher und nachher, Note
im Mathematikunterricht
Die Durchschnittsnote im Mathematik-unterricht stieg
Guerrero et al.
T3
(Jahr 2015)
Mexiko
N = 32 Die Anzahl Jungen gegenüber Mädchen wird nicht angegeben
Beschreibung der Auswirkungen des Schachspiels auf die Grundrechenarten von Schülern der fünften Klasse
Pretest und Posttest zu Brüchen und Operationen basierend auf ENLACE 2011 und 2012 Testfragen, Umfragen und Interviews
Bessere Konzentration, besseres Gedächtnis und bessere Noten im Mathematikunterricht
Gumede und Rosholm
T4
(Jahr 2015)
Dänemark
N = 264 Die Anzahl Jungen gegenüber Mädchen wird nicht angegeben
Charakterisierung der Auswirkungen von Schach im Fach Mathematik bei Grundschülern der ersten und dritten Klasse
Tests vor der Intervention, persönliche Merkmale des Kindes sowie der Mutter und des Vaters des Kindes
Positive Auswirkungen sowohl bei dänischen Kindern mit als auch ohne Migrationshintergrund
Sala et al
T5
(Jahr 2015)
Italien
N = 309 Versuchsgruppe (169 Jungen, 140 Mädchen).
N = 251 Kontrollgruppe (116 Jungen, 135 Mädchen).
Untersuchung des Potenzials von Online-Schachunterricht auf die Problemlösungsfähigkeiten von Grundschülern der zweiten, vierten und fünften Klasse
PISA und Schachumfrage
Starke positive Korrelation zwischen Mathe und Schach in der Versuchsgruppe
Sala et al
T6
(Jahr 2016)
Italien
N = 309 Versuchsgruppe (169 Jungen, 140 Mädchen)
N = 251 Kontrollgruppe (116 Jungen, 135 Mädchen)
Experimentelle Studie über Schach bei Grundschülern der vierten Klasse mit einer Placebogruppe
Sechs Tests zur Bewertung der mathematischen Fähigkeiten, IEA – TIMSS psychometrischer Test
Die Schachgruppe war in den mathematischen Fähigkeiten effektiver als die GO-Gruppe, aber nicht in den schulischen Aktivitäten
Rosholm et al.
T7
(Jahr 2017)
Dänemark
N = 323 Versuchsgruppe.
N = 159 Kontrollgruppe
Analyse der Auswirkungen des Ersetzens einer Mathematikstunde pro Woche durch einen Schachunterricht für Grundschüler der ersten und dritten Klasse
Mathematik Test (einschließlich Berechnungen, Geometrie, Mustererkennung und grundlegendes Problemlösen)
Verbesserung der Bildung von mathematischen Folgen in der Versuchsgruppe
Meloni und Fanari
T8
(Jahr 2019)
Italien
N = 48 Versuchsgruppe.
N = 37 Kontrollgruppe
Analyse der Auswirkungen des Ersetzens einer Mathematikstunde pro Woche durch einen Schachunterricht für Grundschüler der ersten und dritten Klasse
Mathematik Test (einschließlich Berechnungen, Geometrie, Mustererkennung und grundlegendes Problemlösen)
Verbesserung der Bildung von mathematischen Folgen in der Versuchsgruppe
Tachie und Ramathe
T9
(Jahr 2022)
Südafrika
N = 25
Versuchsgruppe
N = 26
Kontrollgruppe
Die Anzahl Jungen gegenüber Mädchen wird nicht angegeben
Analyse der Auswirkungen des Ersetzens einer Mathematikstunde pro Woche durch einen Schachunterricht für Schüler der neunten Klasse
Gruppentest
Die Schachgruppe war in den mathematischen Fähigkeiten effektiver
Tabelle 2
Einige Studien, die den Einfluss von Schach auf das Leseverständnis in der Schule untersuchen
Autor(en)
Land
Zahl der Teilnehmer
Studienziel
Tests
Ergebnisse
Margulies et al
T10
(Jahr 1991)
USA
N = 1118 Teilnehmergruppen N = 22
Beschreibung der Auswirkungen auf das Lesen vor und nach dem Schachunterricht in der Grundschule
Test zum Stand der Leseleistung (DRP)
Die Gruppe der Schachschüler verbesserte sich mehr als der durchschnittliche Schüler
Liptrap et al
T11
(Jahr 1998)
USA
N = 571 gesamt Schachgruppe N = 67 Gruppe, die kein Schach gespielt hat N = 504
Bestimmung des Ausmaßes der Teilnahme von Schülern an einem Schachklub
Texas Assessment of Academic Skills (TAAS). Texas Learning Index (TLI)
Die Schachgruppe verbesserte sich mehr in Mathematik als im Lesen
Duccette
T12
(Jahr 2009)
USA
Versuchsgruppe N = 151
Analyse der Auswirkungen eines Schachprogramms auf Verhalten, Mathematik und Lesen
Philadelphia’s behavior grade and attendance, Pennsylvania System of school Achievement (PSSA)
Punktzahl in Lesen und Mathematik
Nach 1 Jahr verbesserte sich die Gruppe, die Schach spielte, in Mathematik und Lesen, und diese Werte waren korreliert, während in der Kontrollgruppe keines dieser Merkmale vorhanden war
Dapica Tejada
T13
(Jahr 2016)
Spanien
N = 60 Gesamt
Schachgruppe
N = 30 (21 Jungen, 9 Mädchen) Kontrollgruppe
N = 30 (20 Jungen, 10 Mädchen)
Prüfung, ob es signifikante Unterschiede im Leseverständnis und in den sakkadischen Bewegungen (SM * ) bei Jungen und Mädchen gibt, die Schach spielen
Umfrage zur Teilnahme am Schachspiel, PROLEC-SE Testbatterie für Leseprozesse und King Devick SM-Test
Die Schachgruppe verbesserte sich bei den verschiedenen Tests, bei denen sie bewertet wurde, was bei der Nicht-Schachgruppe nicht der Fall war. Darüber hinaus gab es eine Korrelation zwischen SM und Leseverständnis und zwischen Schach und SM
Celiz
T14
(Jahr 2020)
Peru
N = 56 Gesamt
Schachgruppe N = 27
Kontrollgruppe N = 27
Auswirkung des Schachs auf das Leseverständnis bei Grundschülern der dritten Klasse
Pretest und Posttest
Leseverständnis
verbesserte sich
* SM werden in den Augen erzeugt, wenn wir lesen, schauen oder nach Informatione
Tabelle3
Einige Studien, die den Einfluss von Schach auf Persönlichkeitsmerkmale untersuchen
Autor(en)
Land
Zahl der Teilnehmer
Studienziel
Tests
Ergebnisse
Filipp et al
T15
(Jahr 2007)
Deutsch-lnad
N = 84
Schachgruppe
N = 83 Kontrollgruppe
Auswirkung von Schach auf die geistige und schulische Entwicklung bei Schülern der ersten bis vierten Klasse, über 3 Jahre
Die Schachgruppe schnitt im Leseverständnis, Arithmetik überdurchschnittlich ab,
Verbesserungen in Einstellungen und sozialverhalten
Aciego et al.
T16
(Jahr 2012)
Spanien
N = 170
Schachgruppe
N = 60 Kontrollgruppe
Auswirkungen des regelmäßigen Schachunterrichts auf intellektuelle und sozio-affektive Fähigkeiten
Leistungstest WISC-R
Selbsteinschätzung TAMAI
Pretest und Posttest
Fremdevaluation
Die Schachgruppe verbesserte sich bei kognitiven und sozioaffektiven Fähigkeiten (Selbstbewusstsein, Lernmotivation, Aufmerksamkeit, visuomotorische Koordination,…)
Ramos et al
T17
(Jahr 2017)
Argentinien
N = 65 Gesamt
(42 Jungen, 23 Mädchen)
Schachgruppe N = 30 (28 Jungen, 2 Mädchen)
Kontrollgruppe N = 35 (14 Jungen, 21 Mädchen)
Analyse der Unterschiede in der kognitiven Leistung bei Kindern, die Schach üben und Kindern, die kein Schach üben
Ex-Post-Facto Querschnittsstudie
Stroop-Word-Color-Test
WISC IV
WCST
Labyrinth-Test nach Porteus
Multivariate Varianzanalyse
Die Schachgruppe erreicht höhere Werte bei Planung, Arbeitsgedächtnis, kognitive Flexibilität
Joseph et al.
T18
(Jahr 2018)
Indien
Schachgruppe
N = 70
(43 Jungen, 27 Mädchen) Kontrollgruppe
N = 81
(52 Jungen, 29 Mädchen)
Auswirkungen des systematisches Schachtrainings auf das verbale Denken
Pretest und Posttest
ANCOVA
Binet–Kamat-Intelligenz-Test
Nach 2 Jahren signifikante Steigerung der Fähigkeit des sprachlichen Denkens bei der Schachgruppe,
keine Unterschiede zwischen den Geschlechtern
Atashafrouz
T19
(Jahr 2019)
Iran
N = 40 Gesamt
Schachgruppe
N = 20 Kontrollgruppe
N = 20
Auswirkungen von Schach auf die Fähigkeit zur Problemlösung, das Arbeitsgedächtnis und die Konzentration für Schüler der zehnten Klasse
Pretest und Posttest,
Cassidy und Lang’s problem-solving style questionnaire (PSSG), Cornoldi’s working memory test (CWMT) und Weinstein und Palmer’s learning and study strategies inventory (LASSI)
Die Schachgruppe zeigte deutlich bessere Ergebnisse für Arbeitsgedächtnis und der Konzentration
Gündüz et al
T20
(Jahr 2019)
Türkei
N = 25 Gesamt
Speer Trainees
N = 20
Peer Trainers
N = 5
Auswirkungen des Schachunterrichts als Peer-Learning in den Grundschulklassen
Fragebögen
Peer-Evaluierungs-formulare Befragungen
Verbesserung der kognitiven Fähigkeiten, der Kommunikation und des Sozialverhaltens
Sandoval-Tipán und Ramos-Galarza
T21
(Jahr 2020)
Ecuador
N = 60 Gesamt
(41 Jungen, 19 Mädchen)
Schachgruppe
N = 30 Kontrollgruppe
N = 30
Auswirkungen von Schach auf das Arbeitsgedächtnis und die Planungsfähigkeit bei Grundschülern
ENFEN-Testbatterie,
Labyrinth-Test nach Porteus, Beobachtungsfragebogen
Die Schachgruppe zeigte deutlich bessere Ergebnisse für Arbeitsgedächtnis und Planungsfähigkeit
Tanajyan et al
T22
(Jahr 2021)
Armenien
N = 264 Gesamt
Verteilung der Schüler nach Klassenstufen Schularten und Geschlecht
Einstellung zum Schachunterricht und dessen Auswirkungen auf das Sozialverhalten bei Kindern der zweiten bis vierten Klasse
Standardisiertes Interview mit Multiple Choice
Tests – Wertetheorie nach Rokeach
Überwiegende Mehrheit macht gern Schach,
positive Auswirkung auf Kooperationsverhalten, Motivation, Ehrlichkeit, Planung, Disziplin
Gao et al.
T23
(Jahr 2021)
China
N = 255 Gesamt
Verteilung der Schüler nach Klassenstufen Schularten und Geschlecht
Beziehungen zwischen Fluid-Intelligenz, Fähigkeiten im Schach und Schulleistungen
Raven’s Standard Progressive Matrices
Befragung
Schulprüfungen
Multivariate Varianzanalyse
positiver Zusammenhang zwischen fluider Intelligenz und Schulleistung,
Schachfähigkeiten korrelieren mit schulischen Leistungen
Glukhova
T24
(Jahr 2022)
Russland
1. Phase
N = 637 Gesamt
Schachgruppe 1
N=331 mit
Lehrprogramm „chess project“
Schachgruppe 2
N = 160 mit Lehrprogramm „Chess universal“
Kontrollgruppe
N = 146 ohne Schachprogramm
über alle Phasen
N = 1571 davon
N = 723 mit
Lehrprogramm „chess project
Steigerung des Entwicklungsniveaus intellektueller Prozesse bei Kindern mittels Schach auf Basis des Ansatzes der Reflexionsaktivität mit Schülern der ersten bis neunten Klasse über 4 Jahre und Langzeitwirkung,
insgesamt 18 Jahre
Test zum Erinnerungsvermögen,
Test zum visuellen Gedächtnis
Tests zu Analogien
Raven’s Standard Progressive Matrices
Correction test Bourdon
Stabile Verbesserung intellektueller Leistungen,
der Schachgruppen
Entwicklungsvorsprung bleibt bis in hohe Schulklassen erhalten
Chitiyo et al.
T25
(Jahr 2023)
USA
N = 1286 Gesamt
Verteilung der Schüler nach Klassenstufen Schularten und Geschlecht
Unterschiede in den wahrgenommenen Vorteilen von Schach durch die Schüler nach Geschlecht und Alter sowie unterschiedlicher Schulen und Jahrgänge
Lernmotivation bei Grundschülern am höchsten und in allen Klassenstufen bei Mädchen mehr als bei Jungen,
Freude hatten mehr Jungen als Mädchen, die Grundschüler hatten die meiste Freude,
Kooperationsfähigkeit verbesserte sich am stärksten bei Grundschülern,
Wahrnehmung von Vorteilen ist von Geschlecht und Klassenstufe abhängig
zu Tabelle 1 (Anhang A)
Fernández-Amigo J, Gairín Sallán J. Utilización de Material Didáctico con Recursos de Ajedrez Para la Enseñanza de las Matemáticas Barcelona. España: universidad de Barcelona; 2008, URL: https://www.tesisenred.net/handle/10803/5053
Achig F, Francisco J. Artículo Científico-Incidencia de la Enseñanza del Ajedrez en la Asignatura de Matemáticas en los y las Estudiantes del 6to. año de Educación Básica de la Unidad Educativa Hermano Miguel de la Salle-Cuenca en el Período de Enero a Junio de 2012-2015, URL: http://repositorio.espe.edu.ec/xmlui/handle/21000/7049
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zu Tabelle 3 (Anhang A)
Filipp, Sigrun-Heide, and H. Spieles. „Fördert Schachunterricht in der Grundschule die geistige Entwicklung der Kinder.“ Abschlussbericht über eine Evaluationsstudie zum Schachunterricht in einer Trierer Grundschule. Trier: ZDiag(2007). URL: https://nsv-online.de/downloads/Endbericht-Abschlusskorrektur13-02-07.pdf
Atashafrouz, Askar. „The effectiveness of chess on problem-solving, working memory, and concentration of male high school students.“ Iranian Evolutionary and Educational Psychology Journal4 (2019): 249-258. URL: https://doi.org/10.29252/ieepj.1.4.2
GÜNDÜZ, Nevin, and Ü. N. E. R. Umut. „Application and Evaluation of Peer Education Model in Chess Learning.“ The Journal of Eurasia Sport Sciences and Medicine3: 103-115. URL: https://dergipark.org.tr/en/download/article-file/1117499
Chitiyo, George, et al. „Students’ perceived benefits of chess: Differences across age and gender.“ Journal of Global Education and Research3 (2023): 214-225. URL: https://digitalcommons.usf.edu/jger/vol7/iss3/2/
Downloads – Beitrag als PDF-Datei, Anhänge A-C als PDF-Dateien
Beitrag mit den Anhängen A bis C als PDF-Datei: Download
Anhang A „Übersicht wissenschaftlicher Arbeiten zu Schach in der Schule“ als PDF-Datei: Download
Anhang B „Verhältnisgleichung statt Dreisatz“ als PDF-Datei: Download
Anhang C „Zitate über Schach“ als PDF-Datei: Download
Vor einem Jahr wurde an dieser Stelle über den enormen volkswirtschaftlichen Gewinn des Schulschachs berichtet (s. Link)[1] Nun wurde dem Autor dieser Seite ausführlichere Informationen von „Damvad Analytics“, die für den Verband der Dänischen Industrie die Studie erstellte, zur Verfügung gestellt. Mit Erlaubnis von „Damvad Analytics“ kann hier die Studie eingesehen werden:
Es herrscht Konsens darüber, dass Mathematik und Lesefähigkeiten die Schulkarriere bestimmen und die beruflichen Qualifikationen bestimmen. Beide Kompetenzen sind Kernkompetenzen, um sich erfolgreich Wissen in anderen Bereichen aneignen zu können. Die betroffenen Schüler wissen, dass sie Schwierigkeiten haben. Wenn sich die betroffenen Schüler bei diesen Kernkompetenzen nicht verbessern, dann wird das möglicherweise am Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl der Schüler nagen und der Lernmotivation abträglich sein. Schlechte Schulleistungen bedeuten oft genug auch wenig gute wirtschaftliche Aussichten im späteren Leben für die betroffenen Personen.
Diesen Zusammenhang bestätigten britische Forscher in einer großangelegten Studie. Sie fanden heraus, dass unzureichende Mathematikfähigkeiten und Lesefähigkeiten in der Grundschule lange nachwirken und den sozioökonomischen Status der Person im Erwachsenenalter beeinflussen.[2]
Die dänische Unternehmensberatung „Damvad Analytics“ (neue Firmierung: „Amsterdam Data Collective“) baut auf die vorhandenen Studien, die belegen, dass Schach zu besseren Leistungen in den Schulfächern, vor allem in Mathematik führen. Wenn flächendeckend regelmäßiger Schachunterricht in Dänemark stattfinden würde, würden wesentlich mehr Schüler bessere mathematischen Fähigkeiten haben, was laut der Studie für Dänemark 1 Milliarde DKK (ca. 134 Millionen Euro) Gewinn über einen Zeitraum von fünf Jahren entsprechen würde. Der finanzielle Gewinn des Schulschachs für die dänische Gesellschaft wurde aus den Vorteilen besserer Mathematikleistungen für einen besseren Schulabschluss und berufliche Karrieren errechnet.
Der errechnete finanzielle Gewinn infolge regelmäßigen Schulschachs für Dänemark ist plausibel, wenn man in andere Länder schaut, was diese an späteren Kostenbelastungen wegen unzureichender mathematischer Kenntnisse und schlechten Schulleistungen angeben. Die Kosten, die der öffentlichen Hand in Großbritannien durch das Nichterlernen grundlegender Rechenfertigkeiten in der Grundschule entstehen, werden für alle Personen mit Rechenschwierigkeiten auf bis zu 2,4 Milliarden Pfund pro Jahr geschätzt. Die Kosten für Personen mit reinen Rechenschwierigkeiten (die nicht gleichzeitig mit Lese- und Rechtschreibschwächen auftreten) werden auf bis zu 763 Millionen Pfund pro Jahr geschätzt.[3]
Das EU-Parlament gab eine Studie in Auftrag, in der die langfristigen Kosten eines Schulabbruchs[4] beziffert werden: „Die finanziellen Auswirkungen des Schulabbruchs sind immens, da er für den Einzelnen und die Gesellschaft insgesamt hohe Kosten verursacht, die sich im Laufe eines Lebens auf ein bis zwei Millionen Euro pro Schulabbrecher summieren. Im Falle der Niederlande beispielsweise werden die lebenslangen Kosten der Ausgrenzung von Schulabbrechern auf 1,8 Millionen Euro geschätzt. Finnland veranschlagt die jährlichen Kosten pro Schulabbrecher mit 27 500 Euro und die lebenslangen Kosten (40 Jahre) mit mehr als 1,1 Millionen Euro, was allerdings viele noch für untertrieben halten. Ähnlich verhält es sich in Irland, wo dem Staat durch die Zahlung von Sozialleistungen und die Verluste an Steuereinnahmen pro männlichem Schulabbrecher jährliche Kosten in Höhe von 29 300 EUR entstehen, wobei noch nicht einmal die Kosten der gesundheitlichen Betreuung oder einer eventuellen Straffälligkeit einberechnet sind. Durch ein einziges weiteres Schulbesuchsjahr kann das Lebenseinkommen um mehr als 70 000 EUR steigen.“[5]
Welchen gesellschaftlichen Nutzen, finanziell ausgedrückt in Euro, könnte Deutschland aus dem regelmäßigen Schachunterricht erzielen?
Schlechtes Abschneiden in Mathematik ist ein häufiger Grund für den Schulabbruch. Schulabbruch bedeutet, schlechtere Startbedingungen in das Berufsleben. Die erwähnte dänische Studie macht auf den Zusammenhang zwischen schlechten Leistungen in Mathematik und dem Begehen von Straftaten aufmerksam. Eine Analyse in Dänemark zu „Kriminalität und Bildungsgrad bei Jugendlichen“[6] gibt an, dass Jugendliche, die die 8. oder 9. Klasse abgebrochen haben, eine fünfmal höhere Wahrscheinlichkeit haben, im Alter von 25 Jahren vom Gericht verurteilt zu werden als Personen, die die Grundschule (Dänemark: Klassen 1 bis 9) abgeschlossen haben. In die Berechnung der sozioökonomischen Vorteile der Studie von „Damvad Analytics“ wurden auch die entgangenen Einkommensverluste der Schulabbrecher und die zusätzlichen Kosten für die Aufnahme einer Berufsausbildung berücksichtigt.
Für Dänemark werden 11000 Schulabbrecher angegeben. Angesichts der unterschiedlichen Einwohnerzahlen von Dänemark und Deutschland, müsste die Zahl der Schulabbrecher in Deutschland höher sein. Die Recherche ergab:
Schuljahr
Anzahl der Wiederholer/-innen
Beendigung der Schule ohne Schulabschluss/ Hauptschulabschluss
2021/ 2022
155800
2020/ 2021
93100
2019/ 2020
143600
45100
2018/ 2019
52800
2017/ 2018
53600
Tabelle 1: Quellen: Berufsbildungsbericht 2021 des Bundesministeriums für Bildung und Forschung[7] und Statistisches Bundesamt (Destatis)[8]
Die Schüler, die die Schule ohne Schulabschluss verlassen oder die die auf dem Arbeitsmarkt relevanten Mindestqualifikationen nicht vorzeigen können, zählen zur Hochrisikogruppe für soziale Devianz (Arbeitslosigkeit, Drogenkonsum, Delinquenz, psychische und gesundheitliche Probleme) und Armut zu zählen.[9] Auch Schüler, die die Schule nicht verlassen, können zu der Hochrisikogruppe gezählt werden. Es sind Schüler, die innerlich gekündigt haben, die ihre Zeit im Unterricht absitzen, ohne wirkliches Interesse am Unterrichtsgeschehen.
Jedes Jahr verlassen weitere Schüler die Schule ohne Abschluss. Nach den Daten des Mikrozensus 2020 verfügten 15,5% (hochgerechnet 2,33 Mio.) der jungen Menschen zwischen 20 und 34 Jahren in Deutschland über keinen Berufsabschluss und somit über schlechtere Voraussetzungen für eine dauerhafte qualifizierte Beteiligung am Erwerbsleben. „Im Berufsbildungsbericht 2022“ werden die erheblichen negativen Konsequenzen aufgezählt. „So tragen Personen ohne Berufsabschluss u. a. ein höheres Risiko der Arbeitslosigkeit, insbesondere der Langzeitarbeitslosigkeit, und verdienen im Vergleich zu Beschäftigten mit Berufsabschluss im Durchschnitt deutlich weniger. Auch werden vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung vor allem junge Menschen als Fachkräfte auf dem Arbeitsmarkt gebraucht.“[10]
Viele versuchen über den Übergangsbereich nachzuholen, was während der Schulzeit nicht gelang, die Ausbildungsreife oder einen Schulabschluss. Im Jahr 2020 waren im Übergangsbereich folgende Personengruppen am stärksten vertreten:
mit Hauptschulabschluss 45,3%
ohne Hauptschulabschluss 26,4%,
mit Realschul- oder gleichwertigen Abschluss 21,1%
Die Ungelerntenquote variierte stark in Abhängigkeit vom erreichten Schulabschluss. Personen ohne Schulabschluss sind besonders gefährdet, keinen Berufsabschluss zu erzielen. Die Ungelerntenquote der 20- bis 34-Jährigen lag im Jahr 2020 in dieser Gruppe bei 64,4% bzw. bei weit über 1 Million. Mit steigendem Schulabschluss sinkt die Ungelerntenquote (Hauptschulabschluss: 35,8%, Realschulabschluss: 13,3%, Studienberechtigung: 7,4%).[11]
Der fehlende Schulabschluss kann zu wirtschaftlicher Not und fehlende Zukunftsperspektiven führen. Mancher Betroffene begeht eine Straftat. In Vergleich zu Dänemark sind aktuelle Zahlen für Deutschland rar. 2009 wurde in Deutschland die Studie „Folgekosten der Kriminalität durch mangelnde Bildung“ von Prof. Dr. Horst Entorf und Philip Sieger veröffentlicht. Die Studie weist für Deutschland erstmalig einen kausalen Zusammenhang zwischen unzureichender Bildung (fehlendem Hauptschulabschluss) und kriminellem Verhalten nach.
„Steigende Anteile von Schulabgängern ohne Hauptschulabschluss führen zu einem deutlichen Anstieg von Tötungs‐, Raub‐ und Diebstahldelikten in den Bundesländern“.[12]
Höchste Schulabschlüsse von Haftinsassen über 18 Jahre, Anteile in %
Kein Hauptschulabschluss
Hauptschule
Abitur
n
Körperverletzung
25.7 %
47.6 %
5.7 %
315
Tötungsdelikt
12.2 %
50.3 %
4.2 %
161
Drogendelikt
16.3 %
46.7 %
8.7 %
332
Diebstahl
25.4 %
45.6 %
6.3 %
397
Betrug/ Fälschung
11.0 %
38.9 %
17.0 %
335
Tabelle 2: Datenquelle: Darmstädter Insassenbefragung (Entorf et al. 2008)[13].
Die große Mehrheit der Verurteilten hat keinen oder einen über die Hauptschule hinausgehenden Abschluss.
Für die Berechnung der Kriminalitätskosten wurde auf Erfahrungen Dritter zurückgegriffen. Daraus wurden folgende Durchschnittskosten je Delikt ermittelt und den weiteren Berechnungen zugrunde gelegt:
Tötungsdelikt (Mord oder Totschlag): 2.146 Millionen Euro
Raub, räuberische Erpressung: 10.700 Euro
Diebstahl (beide Kategorien) 1.200 Euro
Die Autoren der Studie betonen, dass die Zahlen mit Unsicherheit behaftet sind. Zum Beispiel: Wie kann ein Menschenleben in Geld ausgedrückt werden? Der interessierte Leser kann in der genannten Studie alle Details, Annahmen und Schlussfolgerungen Schritt für Schritt nachvollziehen. Es wurden 3 Szenarien durchgerechnet, wie sich höhere Bildungsabschlüsse auf die Zahl der Straftaten auswirken würden. Unter Berücksichtigung der Annahmen der Durchschnittskosten je Delikt ergeben sich beeindruckende Zahlen. Unabhängig des monetären Wertes sollte auch bedacht werden, wie vielen Menschen das durch Straftaten zugefügte Leid erspart bleiben würde.
Tabelle 3: Reduktion der Fallzahlen für verschiedene Szenarien der Verringerung unzureichender Bildung [14]
Zusammenfassend beschreibt die Studie „die hypothetischen Konsequenzen einer Bildungsinitiative, die den Anteil unzureichender Bildung (Fehlen eines Hauptschulabschlusses) um alternativ 10 %, 25 % oder 50 % reduzieren würde. Unter Nutzung der Erkenntnisse zu den Kosten der Kriminalität und Verwendung der ökonometrischen Ergebnisse zum Zusammenhang von Bildung und Kriminalität zeigen sich sowohl Möglichkeiten der deutlichen Verbesserung der öffentlichen Sicherheit als auch große Potentiale der Kostensenkung. Würde man den Anteil unzureichender Bildung (entsprechend eines mittleren Bewertungsszenarios) um 50% reduzieren, so ergäbe sich eine Reduktion von Mord und Totschlag um 18 %, von Raub und Erpressung um 27%, von leichtem Diebstahl um 17 % und von schwerem Diebstahl um 10%. Insgesamt hätte sich so allein im Jahr 2009 eine Verringerung der Kosten der Kriminalität um 1,42 Mrd. Euro ergeben. Dieser Wert ist als konservativ einzuschätzen. Er liegt im unteren Bereich alternativer Kostenschätzungen, die von 1,2 Mrd. Euro bis 3,1 Mrd. Euro Einsparpotential ausgehen.“[15] Die Erfahrung, dass Hauptschüler zunehmend Schwierigkeiten, eine (attraktive) Lehrstelle zu bekommen, ist ein weiterer starker Grund, alle Möglichkeiten auszuschöpfen und den Schülern den qualifizierten Schulabschluss zu verschaffen, der die Türen für berufliche Perspektiven weit öffnet.
Im Bildungsbericht 2022 des Deutschen Bundestages ist nachzulesen[16], dass die Kultusministerkonferenz (KMK) davon ausgeht, dass die Zahl der Schulabgänger ohne Hauptschulabschluss bis zum Jahr 2030 auf 48 000 steigen wird. Vermutlich werden diese Zahlen in den kommenden Jahren wegen der erschwerten Lernbedingungen und Schulschließungen während der Corona-Pandemie höher ausfallen.
Gesellschaftliche Kosten für die Wiederholung des Schuljahrs
Strategien zur Senkung der Schulabbrecherquote sind zum einen präventive Maßnahmen und zum anderen Reparaturmaßnahmen, die sich an den Schulabbrecher direkt wenden. Sinnvoll wäre es, mit sinnvollen Maßnahmen schon so zeitig wie möglich präventiv gegen mögliches Schulversagen anzukämpfen. Das fängt im Kindergarten und Grundschule an. Kontraproduktiv ist die weitverbreitete Sprachregelung, dass die Note 3 eine gute Zensur wäre. In der Grundschule, nach deren Abschluss die Kinder das Einmaleins beherrschen sollen, kann die Note 3 keine gute Zensur sein. Das wird am folgenden Beispiel illustriert:
Für eine schriftliche Arbeit/ Kurzarbeit mit der Gesamtpunktzahl 10, werden die Noten abhängig von der Punktzahl wie folgt vergeben:
Note
Erreichte Punktzahl
Note 1
10 Punkte
Note 2
Ab 8 Punkte
Note 3
Ab 6 Punkte
Note 4
Ab 4 Punkte
Note 5
Ab 2 Punkte
Note 6
Unter 2 Punkte
Tabelle 3: Notenübersicht für die Maximalpunktzahl 10 von 10
Was ist gut an der Note 3, wenn der Schüler bei den Grundrechenaufgaben gerade mal 6 richtige Lösungen angeben kann? Konflikte zwischen Elternhaus und Schule sind vorprogrammiert. Eltern, die sich um ihr Kind kümmern, wissen, dass nur 6 richtige Lösungen bei 10 Aufgaben kein gutes Ergebnis sein kann, weil alles, was das Kind in Mathematik, Physik, Chemie noch lernen wird, auf diese Grundkenntnisse der Grundschule aufbaut. Außerdem sollen die Kinder später als Erwachsene die Kontoauszüge lesen, bei Rabattaktionen die Preisersparnis im Kopf ausrechnen oder entscheiden können, ob sie sich den Ratenkauf tatsächlich leisten können.
In einem Dokument der Europäische Kommission in 2012 werden Möglichkeiten zur Reduzierung der Schulabbrecherquote in Europa diskutiert. Für Deutschland wird dargelegt, dass man Schulabbruch vermeiden und den Übergang Schule-Berufsausbildung unterstützen will. Es werden drei Kernkompetenzen angeführt: Potenzialanalyse, Berufsorientierungsmaßnahmen und individuelle Beratung und Hilfe. Schülerinnen und Schüler der 7. oder 8. Klasse der Sekundarstufe (13 oder 14 Jahre) werden dabei unterstützt, ihre Stärken und Fähigkeiten, aber auch ihre Schwächen zu erkennen. …[17] Warum wird nicht schon in der Grundschule angesetzt, bevor Schulkarrieren festgelegt sind?
Die Wiederholung des Schuljahres wird als eine Möglichkeit angesehen, dem Schüler zu helfen und am Ende einen Schulabschluss zu erreichen. Über den Nutzen wird heftig gestritten. Es sollte nicht unterschätzt werden, dass der Schüler, der das Schuljahr wiederholt, aus seinem bisherigen Klassenumfeld, herausgerissen wird, möglicherweise den Kontakt zu seinen Freunden in der ehemaligen Klasse verliert, er nun der älteste in der neuen Klasse ist und den Stempel trägt, dass er Lernschwierigkeiten hat. Es ist vorstellbar, dass dies keine höhere Lernmotivation hervorbringt, was viele internationale Studien bestätigen. Die Bertelsmann-Stiftung nahm sich 2009 dieses Problems an und stellte dieser Strategie „Wiederholung des Schuljahres“ ein negatives Zeugnis aus. Sie errechnete jährliche Mehrausgaben für Klassenwiederholungen in Höhe von etwa 931 Millionen Euro.
„Die hohen Ausgaben für Klassenwiederholungen sind angesichts der empirischen Belege, die die Unwirksamkeit dieses Instruments für die einzelnen Schülerinnen und Schüler zeigen, nicht zu rechtfertigen. Die pädagogisch nicht zu begründenden Unterschiede bei Klassenwiederholungen zwischen den Schulstufen und den Schulformen können ebenso wie die unübersehbaren Länderunterschiede als zusätzliche und deutliche Hinweise darauf verstanden werden, dass der Einsatz der für Klassenwiederholungen verbrauchten Ressourcen zu Gunsten einer verstärkten individuellen Förderung ertragreicher wäre.““[18]
Es gab viel Kritik an der Studie und wie die Mehrausgaben berechnet wurden.[19] In Tabelle 1 werden 155800 Schüler ausgewiesen, die ein Schuljahr wiederholen. Das Statistische Bundesamt[20] gibt die Ausgaben je Schüler und Jahr zwischen 7500 und 12300 Euro an. Konservativ gerechnet, kommt man auf rund 1,17 Milliarden Euro als Kosten für die Wiederholung des Schuljahres.
7500 Euro/ Schüler * 155800 betroffene Schüler = 1.168.500.000 Euro
Aus dem eben dargelegten, ergeben sich in Deutschland immense Sparpotenziale und Möglichkeiten für höhere Steuereinnahmen. Letztere würden aus den höheren Einkommen resultieren. Man kann auch argumentieren: die Ausgaben zur Verbesserung der schulischen Leistungen finanzieren sich selbst – aus den eingesparten Kosten für die negativen Begleiterscheinungen des Misserfolgs in der Schule.
1,4 Milliarden Euro Kosteneinsparung für nicht begangene Straftaten, wenn die Zahl der Schulabbrecher halbiert wird
0,9 Milliarden Euro für die Wiederholung des Schuljahres
45 Milliarden Euro für die Schulabbrecher (45 000 Schulabbrecher in einem Jahr, 1 Million Euro je Schulabbrecher für Transferleistungen oder geringere Einkommen im Vergleich zu Personen mit Schulabschluss)
??? Euro (Ausgabenhöhe unbekannt) für medizinische und psychische Behandlungen, Förderunterricht, …
Es ist augenscheinlich, dass kluge Investitionen zur Verbesserungen der Schulleistungen enorme Gewinne für die Gesellschaft bedeuten, was auf Regierungsebene bedeutet, dass die einzelnen Ministerien in ihren Bilanzen unterschiedlich stark davon profitieren, wobei das Bildungsministerium die dafür getätigten Ausgaben in seinen Büchern hat. Weitere Gewinne, die monetär nicht zu erfassen sind, wären Stolz und Zufriedenheit auf das Erreichte im Leben, Verantwortungsbewusstsein, Vertrauen in eigene Fähigkeiten, Kraft zur Erreichung neuer Ziele, Integration in die Gesellschaft.
Das Schachspiel ist weltweit in den Fokus von Bildungsforschern und Politikern geraten. Um Schach zu spielen, bedarf es keiner hohen Investitionsbeträge. Schach kann überall gespielt werden, dafür braucht man keine speziellen Hallen, Stadien und auch keine spezielle Kleidung. Ein Schachbrett und ein Satz vollständiger Schachfiguren, egal aus was für einem Material, genügen und es kann losgehen.
Beispielrechnungen:
Annahmen:
1 Schachbrett mit Figurensatz kostet 10 Euro
Eine geeignete Schachuhr 30 Euro.
In Deutschland gibt es ca. 15400 Grundschulen.[21]
Schachbretter und Figurensätze für die Schulen:
15400 Grundschulen x 2 Klassensätze (16 Schachsets für eine Klasse, 2 Kinder je Set) x 10 Euro je Set = 4,928 Millionen Euro einmalig Schachuhren: 15400 Grundschulen x 16 Schachuhren (16 Uhren als Klassensatz) x 30 Euro je Uhr = 7,392 Millionen einmalig
Die Investitionen in Schachspiele ist eine kleine Summe im Vergleich zu den möglichen Renditen bei Verbesserung der Schulleistungen. Der Vorteil kann dreistellige Millionenbeträge oder gar Milliardenbeträge erreichen, abhängig davon, wie viele Schüler am Schachunterricht teilnehmen.
Lehrmaterialien gibt es in vielen Sprachen. Weltweit werden Ideen und Erfahrungen kommuniziert, wie Schach in den verschiedenen Schulfächern eingesetzt werden kann. Neben den naheliegenden Fächern Mathematik und Informatik gibt es Beispiele für die Anwendung in Biologie, Physik, Sport, Ethik und Fremdsprachenunterricht. Das Schachspielen ist ein lerndidaktisches Instrument mit therapeutischen Effekten.
Für weltweites Aufsehen sorgte 2007 die Trierer Studie[22], in der gezeigt wurde, dass regelmäßiger Schachunterricht zu besseren Lernergebnissen in Deutsch und Mathematik führen. 2008 hat ein Forscherteam an der Universität Leipzig[23] in einer aufwendigen Studie nachgewiesen, dass Kinder mit Rechenstörungen sich in Mathematik signifikant verbesserten. Pädagogen berichten, dass Schüler, die Schach spielen weniger aggressiv auftreten. Selbst verhaltensauffällige Schüler unterliegen der Schachmagie und sind weniger auffällig und aggressiv. 2021 traten spanische Forscher mit den Ergebnissen ihrer klinischen Studie in die Öffentlichkeit, wie Schach die kognitive Leistungsfähigkeit der ADHS-Patienten und deren Selbstgefühl verbesserte und so bessere Schulleistungen erreicht wurden. In 2022 publizierten russische Forscher gleich mehrere Studien, darunter eine Langzeitstudie über einen Zeitraum von 18 Jahren. Die Langzeitstudie belegt die Langzeitwirkung des Schachunterrichts in der Grundschule. Die dort erworbenen Einsichten und Einstellungen zur Lernmotivation, Selbstbewusstsein, Problemlösung, Selbstwertgefühl, Aufmerksamkeit wirken auch noch Jahre später positiv nach, selbst wenn die Schüler kein Schachtraining mehr erhielten. Die Ergebnisse wurden schon Jahre zuvor auf internationalen Kongressen in Quebec (Kanada, 2017) und Moskau (Russland, 2018) vorgestellt, ehe 2022 ausführliche Berichte mit theoretischen Hintergründen und Praxishinweisen folgten. Sogar Menschen mit geistigen Problemen konnten dank dem Schachspiel ein für sie völlig neues Leben kennenlernen. Sie befreiten sich aus dem Korsett und können ein selbstbestimmtes Leben in Würde führen, für ihren Lebensunterhalt selbst sorgen. Das Paradebeispiel ist Jarno Scheffner, bei dem man einst einen IQ von 59 feststellte und der eine Förderschule für geistig Behinderte besuchte. 2022 wurde er Schachweltmeister im Amateurbereich und arbeitet heute als Gärtner.[24]
Weiterführende Informationen:
Schulschach ist eine enorme sozioökonomische Ressource mit immensen finanziellen Vorteil für die Gesellschaft (05.02.2022) – Link
Plädoyer für Schach in der Schule – Link
[2] Ritchie, Stuart J., and Timothy C. Bates. „Enduring links from childhood mathematics and reading achievement to adult socioeconomic status.“ Psychological science 24.7 (2013): 1301-1308, URL: https://doi.org/10.1177/0956797612466268
[4] Anmerkung: Die Europäische Union definiert Schulabbrecher als Personen zwischen 18 und 24 Jahren, die lediglich über einen Abschluss der Sekundarstufe I verfügen und keine weiterführende Schul- oder Berufsausbildung durchlaufen
[5] Europäisches Parlament. „VERRINGERUNG DER SCHULABBRECHERQUOTE IN DER EU“ (2011), URL: Link
[6] Andersen A.M., Mortensen L. H., Kriminalitet og uddannelse blandt unge. Danmarks Statistik. (2016) URL: Link
[9] Hillenbrand, Clemens, and Heinrich Ricking. „Schulabbruch: Ursachen-Entwicklung-Prävention. Ergebnisse US-amerikanischer und deutscher Forschungen.“ Zeitschrift für Pädagogik 57.2 (2011): 153-172., URL: Link
[19] Vgl. Bender, Peter. „Problematik der Messinstrumente am Beispiel jüngerer Schulstudien.“ Gauger, J.-D./Kraus, J.(Hg.): Empirische Bildungsforschung. Notwendigkeit und Risiko. St. Augustin/Berlin (2010). URL: Link
[20] Destatis. Pressemitteilung Nr. 047 vom 3. Februar 2022. (2022), URL: Link
[22] Filipp, Sigrun-Heide, and H. Spieles. „Fördert Schachunterricht in der Grundschule die geistige Entwicklung der Kinder.“ Abschlussbericht über eine Evaluationsstudie zum Schachunterricht in einer Trierer Grundschule. Trier: ZDiag (2007).URL: https://nsv-online.de/downloads/Endbericht-Abschlusskorrektur13-02-07.pdf
Die deutschen Schachverbände wollen den Anteil der Mädchen und Frauen im Schach erhöhen. Auf welche Weise kann es gelingen? Die Forscher haben in den letzten Jahren viel zu Unterschieden und Gemeinsamkeiten der Geschlechter im Schach geforscht. Wo stehen die Schachspieler in der Genderdiskussion? Was zeichnet den Schachsport gegenüber anderen Sportarten aus?
Schach kann jeder erlernen, unabhängig von Alter und Geschlecht. Der Gesundheitszustand spielt im Breitenschach eine untergeordnete Rolle. Mit anderen Worten, Schach bringt die besten Voraussetzungen für ein gleichberechtigtes Miteinander von Männer und Frauen, Mädchen und Jungen mit.
Aus der Erfahrung wissen die Schachspieler, dass es im Schach kaum Barrieren gibt. Diese Erfahrung, dass Schach eine gleichberechtigte Sportart ist, bestätigt der spanische Forscher José Ramón Trillo in seinem Vortrag beim Internationalen Bildungskongress 2021 in Spanien [1], der den Schwerpunkt „Pädagogische Erkenntnisse, die die Welt verbessern“ hatte. Beide Geschlechter können gleichberechtigt am Schach teilhaben, weil die Voraussetzungen für alle gleich sind. Die Hormone, allen voran das Testosteron, und das Alter haben keinen Einfluss auf den Schacherfolg, anders als in den körperbetonten Sportarten wie Gewichtheben, Ringen, Rugby, Wasserball. Schach ist dem Grunde nach eine gleichberechtigte Sportart, die integrativ wirkt, das Selbstbewusstsein stärkt. Hinzu kommen die positiven Einflüsse auf das Sozialverhalten, Lernmotivation und Konzentrationsfähigkeit. Dies unterstreicht, welche große Rolle das Schach in der Gesellschaft einnehmen kann. In anderen Ländern wird Schach als ein Attribut der allseitigen Persönlichkeitsentwicklung angesehen.
Der erwähnte Konferenzvortrag von José Ramón Trillo [1] gibt dem Schachpraktiker gute Argumente, denn was er als Schachspieler aus der Erfahrung heraus wusste, wird nun mit Hinweis auf Forschungsergebnisse belegt und ins Bewusstsein gerückt. Zur deutschen Übersetzung bitte dem Link folgen.
Wahrnehmung von Klugheit und Brillanz im Kindesalter
Die Studie von Andrei Cimpian 2017 gemeinsam mit anderen Kollegen [2] stützt die Idee, dass Vorbilder eine wichtige Rolle für Kinder spielen. Die Stereotypen, die Männer, aber nicht Frauen mit Brillanz und Genialität zu assoziieren, können sich auf die Karrieren von Frauen auswirken; in Disziplinen, deren Mitglieder großen Wert auf schiere Brillanz legen (z. B. Mathematik, Physik, Philosophie), ist der Anteil der Frauen, die einen Bachelor- oder Doktortitel erwerben geringer.
Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass sich die Vorstellungen der Kinder über Brillanz im Alter von 5 bis 7 Jahren schnell ändern. Im Alter von 5 Jahren assoziierten Jungen und Mädchen Brillanz in ähnlichem Maße mit ihrem eigenen Geschlecht. Die Wahrscheinlichkeit, dass Mädchen im Alter von 6 und 7 Jahren Brillanz mit dem eigenen Geschlecht assoziierten, war deutlich geringer als bei Jungen. Das Stereotyp „Brillanz = männlich“ kann also bereits Kindern im Alter von 6 Jahren vertraut sein und von ihnen übernommen werden. Das Stereotyp, dass Frauen mit Liebenswürdigkeit in Verbindung gebracht werden, scheint analog zuzutreffen.
Die Forscher kommen zu dem Schluss, dass die aufkommenden Vorstellungen kleiner Kinder darüber, wer wahrscheinlich brillant ist, einen Einfluss darauf haben, welchen Spielen und Beschäftigungen sie nachgehen. Die Wissenschaftler stellen weiter fest, dass Mädchen stärker den Bescheidenheitsnormen unterliegen als die Jungen. Die Bescheidenheitsnormen geben vor, dass man nicht mit Intelligenz und Klugheit prahlen soll.
Unter dem Eindruck der Ergebnisse der eben zitierten Forscher habe ich das seit 11 Jahren stattfindende Schachturnier, dass nur für Grundschüler der Region offen, genauer intersucht. In den letzten Jahren nahmen zwischen 80 und 110 Grundschüler am Turnier teil.
Tabelle 1: Anteil der Mädchen an den Podestplätzen (1. bis 3. Platz) im Gesamtteilnehmerfeld beim Grundschulschachturnier. Mädchen und Jungen spielten gemeinsam in einer Gruppe, d.h., in ihrer jeweiligen Klassenstufe. Zu Info: Die Siegerehrung wurde getrennt nach Mädchen und Jungen durchgeführt.
Grundschulturnier
Jahr
2022
Jahr
2019
Jahr
2018
Jahr
2017
Jahr
2016
Jahr
2015
Jahr
2014
Jahr
2013
Jahr
2012
Jahr
2011
Jahr
2010
Gesamt
Gesamtanzahl Podestplätze
12
12
12
12
12
12
12
12
12
12
12
132
davon Mädchen
6
1
2
1
1
0
1
2
1
0
2
17
davon Jungen
6
11
10
11
11
12
11
10
11
12
10
115
Anteil der Mädchen an der Gesamtzahl Podestplatz in %
50,00
8,33
16,67
8,33
8,33
0
8,33
16,67
8,33
0
16,67
12,88
Anteil Mädchen an der Gesamtzahl Teilnehmer in %
32,14
24,54
22,35
16,67
11,83
22,78
21,67
12,66
20,00
14,75
12,36
19,25
Wie sind die Ergebnisse zu bewerten? Im prozentualen Vergleich der erreichten Platzierungen schneiden die Mädchen immer schlechter ab, als es nach der prozentualen Teilnehmerzahl zu erwarten wäre. Wie das Jahr 2022, nach 2 Jahren Pandemiepause, zu bewerten ist, werden zukünftige Turniere zeigen. Das Teilnehmerfeld umfasst Schüler, die regelmäßig in der Schul-Schach-AG und Schüler, die zusätzlich noch im Verein trainieren. Möglicherweise sind für das „schlechtere“ Abschneiden die Gründe anderswo zu suchen, zum Beispiel weil die Mädchen weniger Selbstbewusstsein und Ehrgeiz als die Jungen an den Tag legen, geringere Schachkenntnisse besitzen, nervöser sind, …
Übersicht und Statistiken zum Schachturnier der Grundschulen des Vogtlandkreises von 2010 bis 2022: Grundschulturnier-Statistiken
Weitere mögliche Gründe, warum weniger Mädchen als Jungen Schach spielen
Da, wie eben dargelegt, Schach keine typische Männer- oder Frauensportart ist, muss es andere Gründe geben, weshalb das weibliche Geschlecht im Schach unterrepräsentiert ist. Einen signifikanten Zusammenhang zwischen dem Alter, in dem mit dem Schachspiel begonnen wurde, der Teilnahme an Turnieren und der Mitgliedschaft in der Schulmannschaft wurde in einer türkischen Studie [3] festgestellt. Je jünger das Alter ist, in dem mit dem Schachspiel begonnen wird, desto höher ist die Teilnahme an Turnieren und das Spielen in der Schulmannschaft. Da sportliche Erfolge zusätzlich motivieren, wecken Sie den Ehrgeiz bei den Kindern, spornen sie zu zusätzlicher Beschäftigung mit Schachproblemen an und führen zu einer länger anhaltenden Vereinsmitgliedschaft.
Der Zugang zum Schach im öffentlichen Raum spielt ebenfalls eine Rolle. Seitdem der Internethandel boomt und in der Folge der innerstädtische Handel ausgedünnt wird, gibt es weniger Spielzeugläden und Buchhandlungen. Nicht mehr alle Spielzeugläden bieten Schachspiele an. Lobend wird erwähnt werden, dass viele Spielesammlungen das Schachspiel enthalten. Die gewillten Eltern, die keine Verbindung zu einem Schachverein haben, stehen bei der Suche nach einer kindgerechten Schachliteratur vor der nächsten Herausforderung, denn der örtliche Buchhandel hat nur in wenigen Fällen Schachliteratur in seinen Regalen stehen. Bei großen Portalen findet man eine Unmenge an Schachliteratur, doch wie können diese Eltern herausfinden, welches Schachlehrbuch tatsächlich das Kind versteht, begeistert und zu den ersten Erfolgen führt?
Weitere Probleme, die aus dem Schulalltag bekannt sind und über die auch in anderen Sportarten geklagt wird, sind der Faktor Zeit und die gemeinsame Beschäftigung in der Familie. Es gibt nicht wenige Eltern, die im Bestreben, das Beste für ihr Kind zu wollen, auch überziehen. Die Kinder haben eine durchgetaktete Woche (z. Bsp. Mo – Tanzen, Di – Musikschule, Mi – Fußball, Do – Schach, Fr – Schwimmen) mit wenig Freiraum, sich mit Dingen aus einer Laune heraus zu beschäftigen. So manches Wochenende ist mit Auftritten und Wettkämpfen ausgebucht. Um Erfolg in einer Sache zu haben, braucht es zusätzliche Betätigung in der Freizeit und auch freie Zeit, einfach mal nur Löcher in die Luft zu starren, was laut Psychologen für die Herausbildung der Kreativität wichtig ist. Kinder möchten erworbenes Wissen und Können zeigen, aber wenn die Eltern kaum Zeit haben oder sich keine Zeit nehmen, dann wirkt sich das auch nachteilig auf das Hobby, dem Schach, aus.
Trotz intensiver Forschungen, gibt es bisher keine sehr belastbare Begründung, warum mehr Jungen als Mädchen Schach spielen. Fernand Gobet führt in seinem Buch „The Psychology of Chess“ (2019) verschiedene Erklärungsmuster für den Geschlechterunterschied wie biologische Gründe, soziokulturelle Gründe, psychoanalytische Gründe oder Motivationsgründe an. Ihm erscheinen Motivationsgründe sehr plausibel, d.h., schachspielende Frauen haben oft noch viele andere Interessen wie eine anerkannte Berufstätigkeit, Freunde und Familie. Die Frauen sagen das nicht nur in Interviews, ihre Lebensläufe bestätigen es auch.
Wichtig: Studien haben inzwischen nachgewiesen, dass kein Geschlecht für sich reklamieren kann, dass es klüger oder intelligenter wäre. Dem wird sich ein späterer Beitrag widmen.
Hinderlich könnte das sich hartnäckig haltende Vorurteil sein, dass Männer klüger wären als Frauen. Ist das tatsächlich so?
Der egozentrische Schachweltmeister Bobby Fischer äußerte sich einst vernichtend über Frauen im Schach:
„Sie sind alle schwach, alle Frauen. Sie sind dumm verglichen mit Männern. Sie sollten nicht Schach spielen. Sie spielen wie Anfänger.“
Der charismatische Schachweltmeister Garri Kasparow fand 1990 wenig anerkennende Worte für das Frauenschach, obwohl er das Talent von Judit Polgar anerkannte:
„Es ist unvermeidlich, dass die Natur gegen sie arbeitet, und das sehr bald. Sie besitzt phantastisches Schachtalent, aber sie ist trotz allem eine Frau. Das liegt alles an den Unvollkommenheiten der weiblichen Psyche. Keine Frau kann einen längeren Kampf durchhalten. Sie kämpft gegen die Gewohnheit von Jahrhunderten und Jahrhunderten, seit Anbeginn der Welt. (Zitiert in Alex Dunne, 2010 Chess Oddities , S.78)“ [4]
2002 folgte die schallende Ohrfeige für Garri Kasparow. „Judit Polgar brauchte 42 Züge und der große Kasparow gab auf“ hieß es in der Presse weltweit. Diese historische Partie wurde am 08.09.2002 beim Match „Russland gegen den Rest der Welt“ gespielt. Chessbase.de hat diese Schachpartie mit englischen Kommentaren veröffentlicht.
In einem Interview 2008 zollte Garri Kasparov seinen vollen Respekt gegenüber den Frauen im Schach:
„Frauen können genauso strategisch und logisch denken wie Männer. Judith Polgar ist dafür ein gutes Beispiel. Zwar ist es noch einzigartig, dass es eine Frau unter die Top Ten schafft. Es ist aber nur eine Frage der Zeit, bis die Frauen ganz an der Spitze stehen.“[5]
Ganz anders sieht es der russische Dichter Alexander Puschkin:
„Ich danke Dir, meine Liebste, dafür, dass Du Schach lernst. Das ist unbedingt nötig in jeder gut eingerichteten Familie.“ (1832, im Brief an seine Frau).
Das Vorurteil, dass Männer besser denken können als Frauen, wirkt lange nach, auch wenn wir uns darüber nicht immer im Klaren sind. Vieles deutet darauf hin, dass das weibliche Geschlecht seine Interessen und Hobbies nicht immer in dem Umfang ausleben kann wie das männliche Geschlecht. Kurzum: Oft haben die Jungen bessere Rahmenbedingungen sowohl im schulischen als auch im häuslichen Umfeld, um im Schach erfolgreich zu sein. Damit sind wir am wunden Punkt „Sozialisation“ und wie er sich auf den sportlichen Erfolg im Schach auswirkt.
Anregungen, wie der Mädchen- und Frauenanteil im Schach erhöht werden kann
Zunächst ein kleiner Test: Schreibe innerhalb von 2 Minuten in einer zweispaltigen Tabelle links die Namen bekannter Weltklasse-Schachspielerinnen und rechts die Namen bekannter Weltklasse-Schachspieler. Ich bin der Überzeugung, dass mehr Männer- als Frauennamen auf dem Papier stehen werden.
Auf Grund des geringen Frauenanteils sind mehr Männer als Frauen in der Nachwuchsarbeit aktiv. Der Übungsleiter spielt mit den Kindern Partien der Großmeister nach, lässt Taktikaufgaben aus realen Partien lösen oder bespricht Schachstudien. Jetzt wird auf die für die Übungen herangezogenen Vorbilder geschaut: Wie oft handelt es sich dabei um Schachspieler und um Schachspielerinnen? Auch wenn es keine offizielle Studie dazu gibt, so zeigt die Erfahrung, dass meistens Partiebeispiele von männlichen Schachspielern vorgestellt werden. Als Gründe kommen Unachtsamkeit, fehlende eindrucksvolle Partiebeispiele von Frauen oder der Zeitaufwand zur Recherche in Betracht. Adrian Iqbal [6], der viel zu Ästhetik und Schönheit im Schach forscht, stellte 2015 fest, dass Partien zwischen weiblichen Spielern von geringerer ästhetischer Qualität sind als Partien von männlichen Spielern. Möglicherweise haben Männer ein besseres künstlerisches Empfinden für das Spiel und schätzen es daher mehr. Dies könnte erklären, warum es deutlich weniger weibliche Komponisten von Schachprobleme gibt. Dass zukünftige Forschungsarbeiten zu anderen Ergebnissen kommen, schließt Adrian Iqbal nicht aus, weil neue Technologien die Forschungsmöglichkeiten erweitern und weil es zu wenig veröffentlichte Schachkompositionen von Frauen gibt.
Genau da kann jeder Verein und Übungsleiter ansetzen – gezielt Partien und Studien von Frauen vorstellen. So können die Übungsleiter, recht einfach und ohne sich zu verbiegen, die Mädchen für das Schach begeistern, das Selbstbewusstsein der Mädchen stärken und subtil Einfluss nehmen, dass mehr Mädchen und Frauen Schach spielen. Mädchen bleiben länger dem Schach treu, wenn wenigstens ein weiteres Mädchen in der Trainingsgruppe ist. Je mehr Mädchen, desto besser.
Vorbilder für starke Schach-Frauen gibt es, doch wer kann ohne lange nachzudenken, interessante Fakten und Geschichten zum Besten geben?
Judit Polgar wurde mit 15 Jahren jüngster Großmeister aller Zeiten und brach den Rekord von Bobby Fischer. 2014 wurde ihr Rekord ins Guinness-Buch der Rekorde aufgenommen:
„Die längste Zeit, in der eine Spielerin hintereinander die Nummer eins der Schachwelt war, beträgt 25 Jahre und 1 Monat und wurde von Judit Polgar erreicht.“ So lautet das offizielle Zertifikat der Guinness-Organisation. Link zu Chessbase.de
Chaudé de Silans qualifizierte sich mehrfach für die Endrunde der französischen Einzelmeisterschaft (sie blieb jahrelang die einzige Frau, der dies gelang)
Link zu Wikipedia oder den Stuttgarter Schachfreunden
Vera Menchik war die erste Schachweltmeisterin. „….hatte Vera Menchik mit Frauenfeindlichkeit und Diskriminierung in der von Männern dominierten Welt des Schachs zu kämpfen. Viele Männer machten sich über sie lustig, und der Wiener Meister Albert Becker schlug zu Beginn bei einem Turnier im Jahr 1929 spöttisch vor, dass jeder männliche Spieler, den Menchik in einem Turnier besiegt, Mitglied im Vera-Menchik-Club werden sollte. Den letzten Lacher hatte jedoch Becker, als er das erste Mitglied des Clubs wurde, gefolgt von Dutzenden männlicher Spitzenspieler der Welt. Vera ließ sich von all dem Spott nicht einschüchtern und erklärte vor einem Turnier, sie freue sich darauf, „etwas Männerblut zu trinken“.
Mehr über ihr Leben erfährt der Leser mittels dem Link
David Smerdon misst Vorbildern eine große Bedeutung bei, um Kinder, vor allem Mädchen bei der Stange zu halten und sie zu Leistungen zu motivieren. In seinem Vortrag bei der FIDE in 2022 [7] zeigte er, dass die in Frankreich eingeführte Frauenquote erfolgreich war. Offen ist, ob dies auch in anderen Ländern der Fall wäre. Weiterhin schlägt er für die Verbände vor, behutsam Quoten in den Ligen einzuführen. Hilfreich könnte seiner Meinung nach auch ein regelmäßiges Treffen talentierter Mädchen mit Schachidolen sein. Die talentierten Jungen würden dies sicherlich auch als Motivationsschub wünschen.
Dem weiblichen Geschlecht wird mehr Sinn für Schönheit und Ästhetik zugesprochen. Warum nicht dieses Klischee bedienen? Es gibt wunderbare schachografische Schachaufgaben, die eine fantastische Bilderwelt auf das Schachbrett zaubern.
Hier einige Beispiele:
The Barker
„Wer beginnt, setzt den gegnerischen König in 4 Zügen matt.“
Ein Prachtexemplar von Hund wurde auf dem Schachbrett verewigt. Das Kunstwerk trägt den Titel „The Barker“, was auf Deutsch so viel wie „bellender Hund“ heißt. Von wegen, „Hunde, die bellen, beißen nicht“ Dieses Hündchen ist ein treuer Diener seines Herrn und erweist sich als außerordentlich angriffslustig: Viermal scharf bellen und der Gegner liegt am Boden. Wer findet am schnellsten die Lösungen?
Die Verfasserin der obigen Schachstudie Ellen Gilbert (1837-1900) war eine starke amerikanische Schachspielerin mit dem Beinamen „Königin des Schachs“. Biss zeigte Ellen Gilbert zu damaliger Zeit, als es noch üblich war, dass Frauen und Männer sich in getrennten Schachklubs trafen. Sie gründete in ihrem Heimatort Hartford den „Hartford Chess Club“, wo sich Schachspieler beiderlei Geschlechts trafen. Im Fernschach stellte sie ihre herausragenden analytischen Fähigkeiten mehrfach unter Beweis. So kündigte sie beim Fernschachturnier 1878 an, den Gegner einmal in 23 Zügen und das andere Mal in 35 Zügen mattzusetzen. Ob Ellen Gilbert eine große Hundeliebhaberin war, ist nicht überliefert.
Lösung zu der obigen Schachstudie „The Barker“: Link
Wer kennt den Namen Edith Elina Helen Baird?
Edith Elina Helen Baird (1859 – 1924) war eine englische Schachkomponistin. Sie war die weltweit produktivste Komponistin von Schachproblemen. Sie schuf über 2000 Schachprobleme. Ihre Kompositionen erhielten viele Auszeichnungen.
Eures Herzens Wunsch werde Euch zuteil.
Wie es Euch gefällt, 1. Akt, 2. Szene
Die Lieb‘ erquickt, wie Sonnenstrahl nach Wettern;
…..
Der Liebe Lenz prangt stets in frischen Blättern,
Venus and Adonis, 799
Wo die Liebe groß ist, werden die kleinsten Zweifel zu ängstlichen Besorgnissen. Wo die kleinsten ängstlichen Besorgnisse groß werden, dort wird große Liebe sein.
Hamlet, 3. Akt, 2. Szene
Durch Tränen, schlaue Liebe, machst du blind,
Weil dann unsichtbar deine Fehler sind.
SONNET 148, 13
Weise sein und lieben, vermag kein Mensch
Troilus und Cressida, 3. Akt, 2. Szene
Der Beitrag soll zum Nachdenken, Diskutieren anregen und der Ideensuche dienen. Den ultimativen Lösungsweg wird es nicht geben. Deshalb ist der Erfahrungsaustausch zwischen den Trainern, Übungsleitern, Pädagogen und Wissenschaftlern wichtig.
[2] Bian, L.,Leslie S.J., Cimpian, A. (2017). Gender stereotypes about intellectual ability emerge early and influence children’s interests. SCIENCE, Volume 355 | Issue 632, 389-391. – URL: URL: DOI: 10.1126/science.aah6524
[3] Gökkaya, M.B. (2022) EVALUATION OF THE RELATIONSHIP BETWEEN PLAYING CHESS RATE, THE AGE OF STARTING CHESS AND GENDER, DEPARTMENT, AND REGION IN UNIVERSITY STUDENTS, Aksaray University Journal of Sport and Health Researches, 3(1), 79-91 URL: https://hdl.handle.net/20.500.12451/9546
Schach ist mehr als Zeitvertreib. Schach als Strategiespiel stiftet in anderen Bereichen Nutzen, der unterschätzt oder übersehen wird. Und genau dieser Schatz soll mit der am 15. Oktober 2022 stattfindenden Internationalen Schachkonferenz in den Mittelpunkt gerückt werden.
Das Programm und die Referenten stehen nun fest (Stand 06.10.2022):
Anlässlich ihres 5-jährigen Bestehens richtet ISAC (International Society for Applied Chess) eine hochkarätig besetzte Internationale Konferenz unter dem Titel „Bio-Psycho-Soziale Anwendungen von Schach“ aus. Konferenzsprache ist Englisch.
Aus Deutschland konnten Prof. Sabine Vollstädt-Klein (schachbasiertes Kognitionstraining bei Suchterkrankungen ), GM Stefan Kindermann (Schach im Coaching und sozialen Projekten), Dr. Anita Stangl (Schach in Afrika) als Referenten gewonnen werden. Prof. Merim Bilalić (Großbritannien) untersucht die Wirkungen von Schach auf das Gehirn. Juan Antonio Montero und Asier Rufino (Spanien) gewähren Einblicke in die ECAM-Methode (kognitives Training mit Schach). Der herausragende Schach-Fotograf David Llada hat sich ebenfalls bereit erklärt und wird einen Vortrag zu Emotionen im Schach halten. Das vorläufige Programm kann hier eingesehen werden. Die Anmeldung erfolgt per Mail: info@isac-appliedchess.com
Wer nicht bis zur Internationalen Schachkonferenz am 15.10.2022 warten will, kann sich mit dem lesenswerten Beitrag „Die Notwendigkeit eines strategischen therapeutischen Ansatzes: Multiple Sklerose im Griff“ (in deutscher Sprache, mit freundlicher Genehmigung von Prof. Tjalf Ziemssen) beschäftigen. Es werden keine besonderen Vorkenntnisse vorausgesetzt. Der Forschungsbericht wurde dieses Jahr im Journal „Therapeutic Advances in Chronic Disease“ (frei ins Deutsche übersetzt „Therapeutische Entwicklungen bei chronischen Krankheiten“) von dem Forscher- und Ärzteteam von Prof. Tjalf Ziemssen (Universitätsklinikums Carl Gustav Carus Dresden) veröffentlicht.
Die Diagnose „Multiple Sklerose“ wirft so manchen Patienten aus der Bahn. Das Leben ist nicht mehr, wie es war. Die Ärzte sind bemüht, dem Patienten bestmöglichst zu helfen, vor allem das Leiden erträglicher zu machen, den Krankheitsverlauf zu verlangsamen oder anzuhalten. Die Praxis zeigt, dass für jeden Patienten ein individuelles Behandlungskonzept erarbeitet werden muss. Das Behandlungsteam muss der Krankheit immer einen Schritt voraus sein. Dazu müssen alle verfügbaren Ressourcen genutzt und der richtige Zeitpunkt für taktische Maßnahmen bestimmt werden. Die Analogie zum Schach ist ein hilfreicher strategischer Ansatz, die Krankheit Multiple Sklerose besser zu beherrschen und dem Patienten sehr lange das bisherige Leben weitestgehend zu ermöglichen. Sowohl im Schach als auch bei der Behandlung braucht man kritische Analysen über Zustand, vorhandene Ressourcen, muss gedanklich Szenarien über mögliche Entwicklungen durchspielen und zwischen einzelnen Zügen oder Maßnahmen wählen, wobei der Erfahrungsschatz von großer Bedeutung ist, um effizient zu sein und unnötige Kostenbelastungen zu vermeiden.
Deutsche Version im Volltext: „Die Notwendigkeit eines strategischen therapeutischen Ansatzes: Multiple Sklerose im Griff“ (Schachstrategien für den Kampf gegen die Multiple Sklerose): Link Englische Version im Volltext: „The need for a strategic therapeutic approach: multiple sclerosis in check“ Link
Prof. Tjalf Ziemssen überraschte mich mit seiner humorvollen Art. Er und sein Ärzteteam betonen die hohe Bedeutung der offenen Kommunikation mit dem Patienten, wobei man in Dresden sehr stark auf Humor setzt, um mit dieser schwierigen Krankheit zurechtzukommen. „Wer das Leben zu ernst nimmt, braucht eine Menge Humor, um es zu überstehen.“, sagte einst Charlie Chaplin.
Wie das Universitätsklinikums Carl Gustav Carus Dresden mit Humor den Patienten erreicht, möchte ich hier vorstellen, denn dies ist meiner Meinung nach grandios:
Damit wäre die Brücke zur Ausstellung Schachwunderland, Kunst und Humor im Schach, geschaffen – ohne ernsten medizinischen Hintergrund. Mit Humor kann man die Herzen vieler Menschen erreichen.
Am 30.10.2022 wird das „Schachwunderland“ offiziell seine Pforten in der Spitzenstadt Plauen/ Vogtland öffnen.
Alle Freunde des Schachs und des Humors, ob große oder kleine, sind bis zum 24.11.2022 herzlich in das „Schachwunderland“, in die Ausstellung zu Kunst und Humor im Schach, eingeladen.
Über kuriose Eröffnungen können sich am 05.11.2022 die Teilnehmer unseres Jubiläumsschachturniers wundern, denn dieses wird als Fischerschach-Turnier (chess960) in den Ausstellungsräumen ausgetragen werden. Und an den Kinotagen kann man sich Schachfilmen hingeben. Also, auf nach Plauen!
Die Mitglieder und Freunde der Deutschen Sektion der Schachspielesammler (CCI – Chess Collectors International) kommen schon am 28.10.2022 zum Erfahrungsaustausch nach Plauen und weilen bis 30.10.2022. Höhepunkt ist die Eröffnung der Ausstellung „Schachwunderland“, Kunst und Humor im Schach.
Durch dicke Mauern bestens geschützt, können die Besucher der Galerie Malzhaus zu Plauen ungestört in das Schachwunderland eintauchen:
Jubiläumsschachturnier in den Ausstellungsräumen – Die Schachpokale aus Holz wurden von einem Künstler passend zum Thema „Schach und Humor“ für das Jubiläumsturnier angefertigt. Link
„Schachwunderland“, die Ausstellung zu Kunst und Humor im Schach vom 30.10.2022 bis 24.11.2022
unterstützt von Chess Collectors International (CCI) u.a. mit Schachspielen des polnischen Künstlers Andrzej Jerzy Nowakowski und der Schnitzerfamilie Pretzl u.v.m. Link zu CCI
An alle.
Schachkenntnisse sind nicht erforderlich, wenngleich es vorteilhaft ist, zu wissen wie die Schachfiguren sich auf dem Schachbrett bewegen.
Für kleine und große Besucher gibt es viel zu sehen, zu entdecken und auszuprobieren.
Schulklassen sind herzlich willkommen. Themen, Informationen und Materialien für „Unterricht in der Ausstellung“ sind erhältlich bei: Frank Bicker, schach-plauen@arcor.de
Was erwartet die Ausstellungsbesucher?
Die Ausstellung „Schachwunderland, Kunst und Humor im Schach“ zeigt die Vielfalt und Internationalität des Humors von Schach in den schillerndsten Formen:
in der künstlerischen Gestaltung der Schachfiguren und der Schachbretter,
in Cartoons, satirischen Darstellungen,
in Filmen, Sketchen,
Parodien, Humoresken, Gedichten,
in schachographischen Aufgaben (die Figurenstellung ergibt ein Bild),
in Schachscherzen, Kalauern
und mit Lokalkolorit:
Schachbrett aus Plauener Spitze
„Schach dem Vater“ nach Erich Ohser als Stickereiarbeit
Großfeldschach und andere Schachspiele stehen bereit.
Schach ist viel mehr als schwarze und weiße Figuren auf einem schwarz-weißem Brett hin und her zu bewegen. Schach ist im wahrsten Sinne des Wortes bunt, vielschichtig, voller Poesie, Zauber und Humor. Der sächsische Schachspieler Walter Henke machte einst einen Reim darauf:
Das Schachspiel schärft
des Menschen Geist,
es hält ihn wach und munter,
und wer ihm seine Gunst erweist,
dem offenbart es Wunder.
Zur Poesie auf dem Schachbrett gesellt sich die Poesie in Geschichten und Gedichten, die die Schachaufgabe beschreiben und manch Lösungshinweis kunstvoll verstecken. Herausragende Vertreter sind u. a. Ilya Shumov, der zu seinen schachographischen Aufgaben oft Schachgedichte verfasste oder Emil Ramin, der mit seiner überbordenden Fantasie dem Leser Lust auf Schach machte oder wie er es ausdrückte: „ein als „trocken“ angesehenes Gebiet sozusagen künstlich beregnet – mit Humor, vielleicht auch mit etwas Satyre.“
Der Künstler Hans Tempel stattet seit vielen Jahren Schachkalender für Kinder mit Schach-Cartoons aus. Er nimmt Kinder und Eltern auf Zeitreisen und Länderreisen mit, lässt sie in Märchenwelten eintauchen, interpretiert die Schachbegriffe auf humorvolle Weise und gewährt augenzwinkernd Einblicke in den Schachalltag. Eine Auswahl seiner Cartoons wurden mit allerlei Kurzweil zum Schach wie Schachgeschichten, Parodien, Schachscherzen und anderen wunderlichen Schachfantasien ergänzt, die der Verfasser dieses Beitrages aus alten Zeitschriften und Büchern zu Tage förderte.
Dr. Thomas Thomsen (CCI) wählte für die Ausstellung humorvolle Schachspiele aus, die die Herzen von kleinen und großen Schachfreunden höherschlagen lassen: Walt Disney lässt seine Comichelden rund um die populäre Mickey Mouse auf dem Schachbrett antreten. Politiker werden auf dem Schachbrett zur satirischen Zielscheibe. Der Mensch mit all seinen Schwächen und liebenswerten Eigenschaften wird auf dem Schachbrett vorgeführt. Der Ideenreichtum scheint grenzenlos.
Die dem Humor inneliegende Kraft beschreiben nachfolgende Zitate:
„Humor ist der Schwimmgürtel auf dem Strome des Lebens.“ formulierte der Dichter Wilhelm Raabe einst poetisch.
„Wer das Leben zu ernst nimmt, braucht eine Menge Humor, um es zu überstehen.“ meinte Charlie Chaplin, der Meister des Slapsticks.
„Der Humor ist der Kitt der Gesellschaft.“ sagte der deutsche Kabarettist Gerhard Polt.
Wenn die Besucher im Schachwunderland viel Freude und Kurzweil finden, wenn ein Lächeln über das Gesicht huscht, Lachen oder Schnalzen der Zunge zu hören ist, dann sind die Ausstellungsmacher glücklich und zufrieden.
Die Sehnsucht der Menschen nach Frieden ist so alt wie die Geschichte der Menschheit. Im Jahr 1877 wurde in einer russischen Wochenzeitung der Wunsch nach Frieden mit den Mitteln des Schachs kundgetan. Mit der vorgestellten Schachstudie wurde an die Vernunft der Politiker appelliert und gefordert, alles zu tun, dass der Berliner Kongress (13. Juni 1878 – 13. Juli 1878) erfolgreich die Balkankriege beendet und stabile Friedensverträge aushandelt. Sein Appell ist aktueller denn je!
Ilya Shumov, ein fantasiereicher russischer Schachkomponist, veröffentlichte am 11. März 1878 als verantwortlicher Schachredakteur in der russischen Wochenzeitschrift „Vsemirnaja illjustracija“ folgende Schachstudie mit dem Titel „Dauerhafter Frieden“:
Erklärung für wenig geübte Schachfreunde
Endspiele mit ungleichfarbigen Läufern enden sehr oft unentschieden, vor allem wenn die Bauern sich auf den Feldern des eigenen Läufers befinden:
Bauern auf den schwarzen Feldern bei schwarzfedrigem Läufer
Bauern auf weißen Feldern bei weißfeldrigem Läufer
Die ungleichfarbigen Läufer können sich nicht gegenseitig angreifen, weil der eine auf den weißen Feldern schreitet und der andere auf den schwarzen Feldern. Sie koexistieren friedlich miteinander.
Wenn sich auch noch die Bauern auf einer Feldfarbe aufhalten, die vom gegnerischen Läufer nicht attackiert werden können, so können sich die Bauern in Sicherheit wiegen, da der feindliche Läufer ihnen kein Haar krümmen kann.
Einzig der König kann Bauern aus dem Weg räumen. Doch im vorliegenden Fall haben die Könige geringe Chancen, einen feindlichen Bauern zu vernichten, weil bei achtsamer Spielweise der Läufer jederzeit seine Bauern schützen kann.
Zum Beispiel kann in der vorliegenden Stellung, wenn Weiß als erster zieht, der schwarze König dauerhaft mit 1. bf5 auf den Feldern a8 und b8 eingesperrt bleiben, wenn der weiße Läufer die Diagonale h3-c8 nicht mehr verlässt. Im Extremfall wird der schwarze König auf b8 festgesetzt, wenn der weiße Läufer sich auf dem Feld b7 einnistet.
Bei wachsamen Spiel kann keine Seite das bestehende Gleichgewicht zerstören. Deshalb ist die Einigung auf einen dauerhaften Waffenstillstand (Remis) die logische Folge.
Dazu verfasste er folgendes Gedicht:
(Altrussisch)
(Deutsch)
Начинать кому угодно.
Кто оружіе положптъ?
Чѣмъ здѣсь кончится война?
— Сдѣлать матъ никто не можетъ,
И «нпчья» уже видна…
Если-бъ всѣ на томъ конгрессѣ
Съ той и съ нашей стороны,
Въ христіанскомъ интересѣ,
Такъ сошлись, какъ здѣсь слоны…
И играя также точно
На «ничью», а не на матъ,
Миромъ долгимъ, миромъ прочнымъ
Заключили-бы трактаты!
Irgendwer beginne.
Wer wird die Waffen niederlegen?
Wie wird der Krieg hier enden?
—- Niemand kann hier mattsetzen,
Und ein Unentschieden ist schon in Sicht…
Wenn alle auf dem Kongress
sowohl die eine Seite als auch die andere Seite,
Im christlichen Interesse,
So zusammenfinden wie es die Läufer hier tun…
Und auch direkt auf ein „Unentschieden“
und nicht auf ein Matt setzen,
Werden Verträge für einen langen Frieden,
für einen dauerhaften Frieden geschlossen!
Deutsche Übersetzung: Frank Bicker
Kurzbiografie zum russischen Schachkomponisten Ilya Shumov
Ilya Stepanovich Shumov ( Ilja Stepanowitsch Schumow) wurde am 16. Juni 1819 in Archangelsk geboren und starb im Juli 1881 in Sewastopol am Schwarzen Meer. Er war ein russischer Schachmeister. 1830 wurde Ilya Shumov als Kadett im Marinekorps aufgenommen. Die Lehrer achteten sehr darauf, wie ihre Schüler die Freizeit verbringen. Jeder, der wollte, bekam Schachunterricht. So lernte der elfjährige Ilya Shumov die Grundregeln des Schachspiels.
Er diente bis 1847 als Offizier in der russischen Marine. Am 5. März 1847 wechselte er in das Marineministerium. Ilya Shumov trainiert bei Carl Jänisch, einer der damals stärksten russischen Schachspieler. Die Popularisierung des Schachspiels lag ihm am Herzen. Mit seiner Hilfe wird 1869 in St. Petersburg ein Schachklub eröffnet Im gleichen Jahr übernimmt er die Leitung der Schachspalte in der illustrierten Wochenzeitung „Vsemirnaja illjustracija“(Всемирная иллюстрация), die in St. Petersburg herausgegeben wurde. Nach seinem Tod 1881 übernahm Michail Tschigorin die Leitung der Schachspalte.
Viele Schachaufgaben widmete Ilya Shumov den Kriegen mit der Türkei: die Gefangennahme von Osman Pascha, die Überquerung des Balkans durch russische Truppen, die Eroberung von Kars während des türkisch-russischen Krieges 1877/1878. Oft wurden die Schachkompositionen durch poetische Erklärungen zur Zeitgeschichte ergänzt.
Russische Version / Русская версия
Желание человека к миру так же старо, как и история человечества. В 1877 году один из российских еженедельников заявил о пожелание мира с помощью шахмат. Представленное шахматный этюд взывал к разуму политиков и требовало сделать все, чтобы Берлинский конгресс (13 июня 1878 – 13 июля 1878) успешно закончил Балканские войны и заключил стабильные мирные договоры. Его призыв актуален как никогда!
Кто хочет узнать больше о балканских войнах, просто читаете разные статьи 2. После этого вы увидите многие события в нынешней Европе и мире другими глазами и сможете лучше понять статью о месторождениях газа в Черном море „Why the Black Sea could emerge as the next great energy battleground of the world“.
Илья Шумов, творческий русский шахматный композитор, опубликовал следующий шахматный этюд под названием „Прочный мир“ в русском еженедельном журнале „Всемирная иллюстрация“ 11 марта 1878 года в качестве главного шахматного редактора:
Комментарий для менее опытных шахматных болельщиков
Эндшпили с разноцветными слонами очень часто заканчиваются вничью, особенно если пешки находятся на полях своеого слона:
Пешки на черных полях с чернопольным слоном
Пешки на белых полях с белопольным слоном
Разноцветные слоны не могут атаковать друг друга, потому что один движется по белым полям, а другой – по черным. Они мирно сосуществуют друг с другом.
Если пешки находятся на полях такого цвета, которые не могут быть атакованы слоном противника, то пешки находятся в безопасности, так как слон противника не может им навредить.
Только король может убрать пешки с дороги. Но в данном случае у королей мало шансов уничтожить пешку противника, потому что при осторожной игре слон может защитить свои пешки в любой момент.
Например, в рассматриваемой позиции, если белые ходят первыми, черный король может остаться навсегда запертым на полях a8 и b8 при 1. Сf5 до тех пор, пока белый слон не покинет диагональ h3-c8. В крайнем случае, черный король прижат на b8, когда белый слон залезть на поле b7.
При внимательной игре ни одна из сторон не сможет разрушить существующий баланс. Поэтому соглашение о постоянном перемирии (ничья) является логическим следствием.
По этому поводу он написал следующее стихотворение:
(дореволюционная орфография)
(современная орфография)
Начинать кому угодно.
Кто оружіе положптъ?
Чѣмъ здѣсь кончится война?
— Сдѣлать матъ никто не можетъ,
И «нпчья» уже видна…
Если-бъ всѣ на томъ конгрессѣ
Съ той и съ нашей стороны,
Въ христіанскомъ интересѣ,
Такъ сошлись, какъ здѣсь слоны…
И играя также точно
На «ничью», а не на матъ,
Миромъ долгимъ, миромъ прочнымъ
Заключили-бы трактаты!
Начинать кому угодно
Кто оружие положит?
Чем здесь кончится война?
— Сделать мат никто не может,
И «ничья» уже видна…
Если-б все на том конгрессе
С той и с нашей стороны,
В христианском интересе,
Так сошлись, как здесь слоны…
И играя также точно
На «ничью», а не на мат,
Миром долгим, миром прочным
Заключили-бы трактаты!
Краткая биография российского шахматного композитора Ильи Шумова
Илья Степанович Шумов родился 16 июня 1819 года в Архангельске и умер в июле 1881 года в Севастополе. Он был русским шахматным мастером. В 1830 году Илья Шумов стал кадетом Морского корпуса. Преподаватели уделяли пристальное внимание досугу учащихся и обучали всех желающих правилам шахмат. Так одиннадцатилетний Илья познакомился с шахматными фигурами и принципом их перемещения по доске.
До 1847 года он служил офицером в российском флоте. 5 марта 1847 года он перешел в Морское министерствао. Илья Степанович тренируется под руководством одного из сильнейших игроков империи Карла Яниша. Популяризация шахмат была сердечным делом. В 1869 году открывается с его помощью шахматный клуб в Петербурге. В том же году Илья Степанович принимает редакцию шахматного отдела в иллюстрированном еженедельном журнале «Всемирная иллюстрация». После его смерти в 1881 году Михаил Чигорин возглавил редакцию шахматного отдела.
Многие задачи шахматиста Ilya Shumov были посвящены войнам с Турцией: пленение Осман-Паши, переход Балкан русскими войсками, взятие Карса в ходе турецко-русской войны 1877/1878 гг. Зачастую композиции дополнялись стихотворными пояснениями происходящего на доске.
Dokumente zum Berliner Kongress 1878 – Статьи о Берлинском конгрессе 1878
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Берлинский конгресс 1878 г. И его политические последствия для Балкан (2016)
Der Berliner Kongress von 1878 und seine politischen Auswirkungen auf den Balkan (2016) Link/ Ссылка
БЕРЛИНСКИЙ КОНГРЕСС И БЕРЛИНСКИЙ ТРАКТАТ 1878 ГОДА
DER BERLINER KONGRESS UND DER BERLINER VERTRAG VON 1878 Link/ Ссылка
Le politique dans la cartographie. Tracé des frontières, carte et territoire lors du Congrès de Berlin en 1878 (2013)
Политика в картографии. Границы, карты и территории на Берлинском конгрессе 1878 года (2013)
Die Politik in der Kartografie. Grenzziehung, Karte und Territorium auf dem Berliner Kongress 1878 (2013) Link/ Ссылка